Gastbeitrag Bezirksstadtrat Cornelius Bechtler

Silvesterkrawalle, das Thema Jugendgewalt und der Aktionismus der Politik

Die Situation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Berlin war schon lange Zeit kein prominentes mediales Thema mehr. Das ist sehr erstaunlich, haben wir doch gerade erst während der Corona-Zeit unsere Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen „verloren.“ Alle, die mit jungen Menschen zu tun haben, beschreiben seitdem eine krisenhafte Situation und erkennen zunehmend die psychosozialen Folgen der sozialen Isolation.

Durch die gewalttätigen Ausschreitungen an Silvester sind Jugendliche nun schlagartig für – zumindest für 14 Tage – in den Fokus der Berichterstattung geraten: Bilder von gewalttätigen jungen Männern, die Polizei mit Feuerwerkskörpern, Steinen und Wurfgeschossen attackieren, untermalen das Thema „Jugendgewalt.“ Bilder vom Tag danach, wie von einem Bürgerkrieg, ein ausgebrannter Bus, dessen Flammen auf das darüber liegende Wohnhaus in der High-Deck-Siedlung in Neukölln übergegriffen haben. Die mitgelieferten Zuschreibungen verfestigen die Vorurteile von einer „Chaos-Stadt“ und liefern mit der fatalen Überschrift einer gescheiterten Integration von Menschen, die fast alle hier geboren sind, die vermeintliche Ursache gleich mit.

Der darauffolgende zweistündige Jugendgipfel des Berliner Senats zum Thema Jugendgewalt kann dieses schreckliche Ereignis natürlich nicht angemessen aufarbeiten und daher auch keine schlüssigen Erklärungen liefern. Bemerkenswert ist, dass zu diesem Gipfel keine Jugendstadträtin oder Jugendstadtrat eingeladen war. Zu den anstehenden Workshops in den nächsten Tagen wird dies nun nachgeholt.

Ich werde als Bezirksstadtrat für Jugend und Familie in Pankow am kommenden Freitag an einem Workshop zum Thema „Elternarbeit und Schulsozialarbeit“ teilnehmen. Meine Botschaft wird sein, dass eine gut ausgestattete Schulsozialarbeit und zwar an jeder Schule (!) eine unabdingbare Voraussetzung für eine gute Präventionsarbeit gegen Jugendgewalt darstellt. Wir haben hier kein Erkenntnisproblem: Es gibt ein qualitativ hochwertiges Landesprogramm, das die Schulsozialarbeit an viele Schulen gebracht hat. Dieses sollte dringend ausgebaut und auf alle Schulen ausgedehnt werden (auch die privaten). Schulsozialarbeit leistet einen wichtigen, wenn nicht sogar den Hauptbeitrag an der Schule bei der Gewaltpräventionsarbeit durch Angebote wie „soziales Lernen“, „Konfliktklärung“ oder „Mobbingprävention.“ Ebenso wichtig ist ein niedrigschwelliges Angebot für Eltern, um sie bei Krisensituationen ihrer Kinder gezielt und kompetent zu unterstützen. Eine verlässliche Beziehungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen an unseren Schulen braucht eine angemessene, verlässliche und regelhafte Finanzierung. Noch immer sind nicht alle Schulen durch das bestehende Landesprogramm versorgt.

Wir brauchen auf keinen Fall neue Sonderprogramme oder Projekte, sondern eine Stärkung der bestehenden, regelhaften Jugendsozialarbeit an Schulen: Regelausstattung muss sein, dass je 150 Schüler:innen eine Vollzeitstelle zur Verfügung steht. Je Standort müssen mindesten zwei Kolleg:innen vorhanden sein, um auch unterschiedlichen Genderaspekten (möglichst m/w/d) gerecht zu werden.

Gegen Gewaltexzesse wie an Silvester hilft nur eine langfristig und möglichst breit aufgestellte Präventionsarbeit. Junge Menschen brauchen hierfür ein verlässliches, flächendeckendes Angebot sowie gute, fachliche fundierte Beratung, Begleitung und Unterstützung. Junge Menschen brauchen aber auch eine Lebensperspektive, die sie selbst gestalten können, sowie einen Platz in unserer Gesellschaft und die hierfür notwendige Anerkennung.  Essentiell hierfür sind engagierte Menschen mit einem verlässlichen Beziehungsangebot.

Cornelius Bechtler