Jan Drewitz:
Stephan, du hast deinen Laden „Terra Vinaria“ nun seit genau elf Jahren im Komponistenviertel. Was hat sich mit der Einführung des Einbahnstraßensystems im Rahmen des Kiezblocks verändert?
Stephan Krause:
Inzwischen hat sich alles beruhigt, und die Aufregung hat sich gelegt. Ich selbst habe das gar nicht live miterlebt, weil ich im Urlaub war, als das umgestellt wurde. Aber ich habe es mir von meinen Kundinnen und Kunden erzählen lassen.
Die ersten zwei Wochen sollen verkehrstechnisch ziemlich katastrophal gewesen sein. Es gab Staus und vor allem wurde oft entgegen der neuen Regelung gefahren. Das führte wohl zu einigem Chaos.
Es wurde viel diskutiert – auch hier im Laden. Viele waren erst mal aufgebracht und viele haben sich gefragt: Was soll das Ganze? Veränderungen bedeuten Umstellungen, auch längere Wege. Das war alles nachvollziehbar.
Im Großen und Ganzen gab es aber auch sehr viele Befürworter – gerade hier unter meiner Kundschaft. Ich würde sagen: 80 Prozent der Anwohnerinnen und Anwohner hier sind sehr einverstanden mit der neuen Situation. Weil es eben mehr Sicherheit bietet – vor allem für kleine Kinder und die anliegenden Schulen hier. Und es ist auch deutlich ruhiger geworden. Das ist ein absoluter Pluspunkt. Die restlichen 20 Prozent sind wahrscheinlich immer noch skeptisch, haben sich aber auch mit der Situation arrangiert.
Jan Drewitz:
Hat sich die Atmosphäre spürbar verändert im Kiez?
Stephan Krause:
Ich denke, es ist wieder Frieden eingekehrt. Auch unter meinen Lieferanten gab es ganz am Anfang den einen oder anderen, der das negativ fand, weil er Umwege in Kauf nehmen musste. Aber jetzt – seit über einem Jahr – habe ich diesbezüglich keine einzige negative Rückmeldung mehr bekommen.
Jan Drewitz:
Wie hat sich die Bizetstraße als Fahrradstraße verändert?
Stephan Krause:
Da merkt man es am deutlichsten: Die Verkehrsberuhigung wirkt sich dort am stärksten aus. In den anderen Parallelstraßen weniger – weil da auch vorher schon weniger Durchgangsverkehr war. Aber auch dort hat sich, nach Aussage vieler Kundinnen und Kunden, die dort wohnen, das Verkehrsaufkommen deutlich reduziert. Es ist ruhiger geworden im Vergleich zu vorher.
„Wer nach einem Parkplatz sucht und sich in der Einbahnstraße verfahren hat, muss einen neuen Anlauf nehmen.“
Jan Drewitz:
Gibt es auch spürbare Nachteile?
Stephan Krause:
Die liegen auf der Hand. Wer vom südlichen Teil des Blocks in den nördlichen will – oder umgekehrt – braucht heute statt zwei Minuten mit dem Auto oft zehn bis fünfzehn. Gerade für Leute, die in der einen Hälfte wohnen und in der anderen arbeiten, ist das ein spürbarer Mehraufwand. Und klar, wer abends nach einem Parkplatz sucht und sich in der Einbahnstraße verfahren hat, muss einen neuen Anlauf nehmen. Aber eigentlich hat sich die Parkplatzsituation verbessert, weil es mehr freie Parkplätze gibt.
Jan Drewitz:
Was sagen deine Kund*innen dazu?
Stephan Krause:
Ich habe überwiegend Kundschaft aus dem Kiez, die meisten kommen nicht mit dem Auto – deswegen bin ich auch nicht so stark betroffen.
Es gibt einzelne Rückmeldungen von ein paar Stammkund*innen vom Mühlenkiez oder Prenzlauer Berg, die ich tatsächlich seltener sehe. Einer hat mir ausdrücklich gesagt, dass er bei mir nur noch vorbeikommt, wenn er gerade auf dem Rückweg nach Hause ist. Auf dem Hinweg wäre ihm das zu kompliziert, aufgrund der neuen Verkehrsführung.
Jan Drewitz:
Und wie sieht es mit deinen Lieferungen aus?
Stephan Krause:
Das hat sich alles geregelt. Das war übrigens der ausschlaggebende Grund, warum ich mich damals für den Kiez-Beirat beworben habe: um sicherzustellen, dass solche Belange bei den Umstellungen berücksichtigt werden.
Aber ehrlich gesagt: Das hätte man auch vorher wissen können. Es müssen ja nicht nur die großen LKWs hier durchkommen, sondern auch die Müllabfuhr, die Feuerwehr. Und dass es da keine großen Einschränkungen geben wird – das war ja eigentlich klar.
Jan Drewitz:
Ich habe mir die Unfallzahlen noch mal angeschaut, die sind teilweise um mehr als die Hälfte gesunken, sowohl in den Nebenstraßen hier als auch an den Knotenpunkten. Es gibt mehr Umwege, dafür aber auch deutlich mehr Sicherheit. Findest du das akzeptabel?
Stephan Krause:
Ja, absolut akzeptabel – oder besser gesagt: sogar wünschenswert. Keine Frage.
„Warum macht man das nicht gleich so?“ / „Vielleicht hätte eine etwas durchdachtere Planung von Anfang an auch zu mehr Akzeptanz geführt.“
Jan Drewitz:
Der Bezirk plant ja noch eine zweite Stufe des Kiezblocks – mit zusätzlichen Sperren, um Falschfahrende zu unterbinden. Wie siehst du das?
Stephan Krause:
Das könnte sogar von Vorteil sein – vorausgesetzt, dass mit den Diagonalsperren die Einbahnstraße aufgehoben werden. Dann kann man innerhalb der jeweiligen Kiezblock-Hälfte wieder ums Karree fahren. Das würde die Parkplatzsuche für viele Anwohner erleichtern.
Wenn das so umgesetzt wird, dann würde ich das als sehr positiv sehen.
Wir hätten dann dieselbe Verkehrsberuhigung – mit dem zusätzlichen Vorteil, dass Verkehrsverstöße wie bei einer Einbahnstraße nicht mehr möglich wären. Gleichzeitig gäbe es aber eine Verbesserung für den Verkehr innerhalb des Kiezes.
Jan Drewitz:
Das ist ja etwas, was man sich eigentlich von Anfang an hätte überlegen können.
Stephan Krause:
Ja, genau! Ich habe mich auch gefragt: Warum macht man das nicht gleich so?
Jan Drewitz:
Da gab es im Bezirksamt die Sorge, das wäre nicht verhältnismäßig und daher nicht gesetzeskonform. Eine Einbahnstraße ist weniger drastisch als ein Poller und daher laut Bezirksamt das mildere Mittel, dessen Umsetzung zunächst vom Gesetz vorgesehen ist. Auch wenn ich denke, dass ein Poller, wenn er weniger lange Umwege produziert als eine Einbahnstraße, vielleicht doch ein milderes Mittel sein könnte?
Stephan Krause:
Vielleicht hätte eine etwas durchdachtere Planung von Anfang an zu mehr Akzeptanz geführt.
Jan Drewitz:
Du warst auch im Kiezblock-Beirat. Wie hast du die Arbeit dort erlebt?
Stephan Krause:
Die war sehr angenehm und interessant. Es waren viele dabei, die dem ganzen Projekt am Anfang sehr skeptisch gegenüberstanden. Wir waren meist ein Dutzend Leute bei den Sitzungen, selten mehr. Aber viele, die zuerst skeptisch waren, haben sich im Laufe der Zeit doch überzeugen lassen, dass das eine ganz gute Sache ist.
Jan Drewitz:
Glaubst du, man hätte das Projekt noch besser begleiten oder kommunizieren können?
Stephan Krause:
Ich persönlich habe von der Planung erst erfahren, als ich eingeladen wurde, mich für den Kiezblock-Beirat zu bewerben. Davor wusste ich ehrlich gesagt nichts davon – obwohl es da schon öffentliche Veranstaltungen gegeben haben muss. Da hätte man vielleicht im Vorfeld noch mehr machen können. Auch unter meinen Kund*innen gab es einige, die die Kommunikation als unzureichend empfanden.
„Ich glaube, da ist noch Luft nach oben.“
Jan Drewitz:
Wir sprachen jetzt über die Verkehrssicherheit. Hat sich auch die Aufenthaltsqualität im Kiez durch den Kiezblock verbessert?
Stephan Krause:
Teilweise, ja. Aber ich glaube, da ist noch Luft nach oben. Damals war viel die Rede davon, dass Bänke aufgestellt werden sollten – ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob das inzwischen passiert ist. Aber davon kann man eigentlich nicht genug haben. Hier um die Ecke gibt es zum Beispiel ein Seniorenwohnheim. Ältere Leute würden sich sicherlich freuen, wenn sie auf dem Weg zum Einkaufen mal eine Pause machen könnten.
Jan Drewitz:
Wenn du anderen Gewerbetreibenden einen Tipp geben könntest, in deren Kiez ein Kiezblock geplant ist – was würdest du sagen?
Stephan Krause:
Wie stark man davon betroffen ist, hängt von vielen Faktoren ab. Wenn man, wie ich, hauptsächlich Kundschaft aus dem Kiez hat, die zu Fuß kommt, spielen die Verkehrsänderungen keine so große Rolle.
Einen pauschalen Tipp kann man nicht geben. Man müsste sich im Vorfeld anschauen, welche Art von Gewerbe im jeweiligen Kiez ansässig ist – wie abhängig sie vom Lieferverkehr sind, wie sehr sie auf Kunden angewiesen sind, die mit dem Auto kommen, und so weiter. Das ist sehr individuell.
Jan Drewitz:
Normalerweise kann man ja als Gewerbetreibender Lieferzonen oder Ausnahmegenehmigungen beantragen. Weißt du, ob das hier jemand gemacht hat, beispielsweise eine Pflegekraft, die regelmäßig mit dem Auto eine Person versorgt?
Stephan Krause:
Das wäre tatsächlich interessant zu wissen. Ich finde, sowas muss man berücksichtigen. Klar, wenn man für jeden Einzelfall Sondergenehmigungen ausstellt, kann das schnell ausufern. Aber in bestimmten Fällen – wie bei uns im Kiez – gibt es ja durchaus konkrete Bedarfe.
Jan Drewitz:
Wenn du einen Wunsch frei hättest für das Umfeld hier – was könnte die Aufenthaltsqualität oder das Miteinander noch verbessern?
Stephan Krause:
Was viele meiner Kunden sagen – und ich selbst übrigens auch: Es fehlt an schöner, interessanter Gastronomie. Wenn es hier mehr gute Angebote gäbe, mit Niveau, einem ansprechenden Sortiment, netten inhabergeführten Läden, das würde dem Kiez guttun.
Für mich wäre das natürlich auch ein Vorteil, weil es Synergieeffekte gäbe. Und ich glaube, das Potenzial wäre da. Es stehen ja einige Gewerberäume leer, aber im Moment sieht es nicht danach aus, als ob das genutzt würde.
„Es gibt viele Faktoren, die unsere Branche gerade umtreiben“
Jan Drewitz:
Es gibt Studien, die zeigen, dass sich Verkehrsberuhigung positiv auf den Umsatz von Geschäften mit Laufkundschaft auswirkt. Welche Erfahrungen hast du damit gemacht?
Stephan Krause:
Das kann ich mir für Einkaufsstraßen gut vorstellen. Aber hier im Komponistenviertel fehlt es einfach an einer ausreichenden gewerblichen Dichte. Es ist eben überwiegend ein Wohngebiet. Daher kann dieser Effekt hier nicht wirklich zum Tragen kommen.
Jan Drewitz:
Verstehe. Vielleicht würde das anders aussehen, wenn sich hier mehr Gewerbe ansiedeln würde.
Stephan Krause:
Genau. Ich glaube, wenn man zum Beispiel die Berliner Allee oder Straßen mit größerem Gewerbeanteil betrachtet – da könnte so eine Maßnahme etwas bewirken.
Dazu kommt: Es gibt viele andere Faktoren, die unsere Branche gerade umtreiben – Dinge, die mit dem Kiezblock überhaupt nichts zu tun haben. Die wirtschaftlichen Aussichten für kleine Einzelhändler oder Weingeschäfte wie meines sind gerade generell nicht rosig. Da kann man von keiner großen Umsatzsteigerung ausgehen – leider.
Jan Drewitz:
Abschließend: Sollte der Kiezblock wieder abgeschafft werden?
Stephan Krause:
Es gibt keinen Grund, das rückgängig zu machen. Ich glaube, das würde einen größeren Aufruhr geben, als die Einführung damals. Ich denke, die Mehrheit der Bewohner hier steht dem positiv gegenüber.
Jan Drewitz:
Vielen Dank für deine Zeit und die vielen Einblicke.
Stephan Krause:
Sehr gern. Ich finde es gut, dass darüber gesprochen wird. Es ist wichtig, dass bei so tiefgreifenden Veränderungen nicht nur die Verwaltung oder Politik eine Rolle spielt, sondern auch die Stimmen der Anwohnerinnen und Anwohner und der Gewerbetreibenden gehört werden.