Kleine Anfrage - KA-0120/IX

Verzögerungen bei der Bewilligung und Bezahlung von Lerntherapien (§ 35a SGB VIII)

Ich frage das Bezirksamt:

1. In wie vielen Einzelfällen (Anzahl der Leistungsberechtigten) wurden im Bezirk vom 1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021 die Kosten von Lerntherapie (Dyskalkulie- und/oder Dyslexie-Therapie) auf der Grundlage von § 35a SGB VIII übernommen?
2. Über welchen Betrag (Gesamtsumme in Euro) wurden für diesen Zeitraum Kostenübernahme-Erklärungen abgegeben?
3. Wie lang ist im Durchschnitt, im kürzesten und im längsten Fall die Bearbeitungszeit zwischen Antragstellung durch die Leistungsberechtigten und Kostenübernahme-Erklärung durch das Bezirksamt bei Lerntherapien?
4. Wie lang ist der durchschnittliche Zeitraum zwischen Eingang der Rechnung von Leistungserbringern der Lerntherapie und der tatsächlichen Anweisung der Zahlung durch das Bezirksamt?
5. Wie viele Anträge von Leistungsberechtigten auf Lerntherapie sind zum Stichtag 31.12.2021 noch nicht abschließend durch das Bezirksamt bearbeitet?
6. Wurden seitens des Bezirksamts mündliche Zusagen auf Kostenübernahmen für Lerntherapien abgegeben? In wie vielen Fällen wurden Lerntherapien bereits begonnen oder fortgeführt, ohne dass eine schriftliche Kostenübernahme-Erklärung vorlag?
7. Wie viele offene Rechnungen von Leistungserbringern lagen dem Bezirksamt zum Stichtag 31. Dezember 2021 vor, die vor dem 15. November 2021 eingegangen sind? Wie hoch waren die daraus resultierenden Forderungen (Gesamtsumme in Euro)?

Eingereicht durch: Bond, Helene

Antwort:

Bezirksamt Pankow von Berlin
Abteilung Jugend und Familie
Bezirksstadtrat

16.03.2022

Frau Bezirksverordnete
Helene Bond
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
über
den Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung
Pankow von Berlin
über
den Bezirksbürgermeister

Kleine Anfrage KA-0120/IX

Betreff: Verzögerungen bei der Bewilligung und Bezahlung von Lerntherapien (§ 35a SGB VIII)

Das Bezirksamt wird um folgende Auskunft gebeten:

Ich frage das Bezirksamt:
1. In wie vielen Einzelfällen (Anzahl der Leistungsberechtigten) wurden im Bezirk vom 1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021 die Kosten von Lerntherapie (Dyskalkulie-und/oder Dyslexie-Therapie) auf der Grundlage von § 35a SGB VIII übernommen?

Antwort:
Hierzu muss angemerkt werden, dass Integrative Lerntherapien kein eigenständiges Produkt sind, demnach können die verfügbaren Statistiken der Kosten-und Leistungsrechnung hier nur bedingt genutzt werden. Ebenfalls erfolgt keine Zählung von Leistungsberechtigten. Aufgrund der Anforderungen der Kosten-und Leistungsrechnung werden Mengen gezählt, eine Menge ist immer ein laufender Fall je Monat.

Es wird demnach erfasst, in wie vielen Fällen monatlich und jährlich eine Leistung erfolgt, unabhängig davon, ob die Kostenübernahme in 2020 oder 2021 erfolgt ist.

Fälle in denen in 2021 eine Kostenübernahme für einen zweiten Bewilligungszeitraum erfolgt ist, werden in den entsprechenden Statistiken als eine Leistung geführt.

Es konnten jedoch die Integrativen Lerntherapien aus der Menge der sonstigen ambulanten Hilfen nach § 35a gefiltert werden.

Im Jahr 2021 wurden insgesamt 2.481 Mengen bei Integrativen Lerntherapien gezählt, das sind im Durchschnitt 206 laufende Zahlfälle je Monat. Diese durchschnittliche Monatsmenge dürfte der Anzahl der bewilligten Lerntherapien im Jahr 2021 sehr nahekommen, da die Hilfen im Regelfall für 12 Monate bewilligt werden.

Eine tatsächliche Erhebung dieser Daten kann nur durch eine vollständige händische Überprüfung erfolgen, für die derzeit die personellen Ressourcen nicht ausreichen ohne Verzögerungen bei der Rechnungsbezahlung in der Wirtschaftlichen Jugendhilfe zu riskieren.

2. Über welchen Betrag (Gesamtsumme in Euro) wurden für diesen Zeitraum Kostenübernahme-Erklärungen abgegeben?

Antwort:
Auch dieser Betrag ist nur durch händische Erhebung zu erfassen. Im Jahr 2021 wurden insgesamt 957.830,568 € für integrative Lerntherapien ausgegeben.

3. Wie lang ist im Durchschnitt, im kürzesten und im längsten Fall die Bearbeitungszeit zwischen Antragstellung durch die Leistungsberechtigten und Kostenübernahme-Erklärung durch das Bezirksamt bei Lerntherapien?

Antwort:
Eine konkrete Zeitangabe zur Bearbeitungszeit kann nicht vorgenommen werden. Anspruchsberechtigt für eine vom Jugendamt finanzierte Lerntherapie sind Kinder oder Jugendliche: 1) Deren seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, 2) deren Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist und bei den eine Teilleistungsstörung diagnostiziert ist. Teilleistungsstörung bedeutet, dass eine Lese-Rechtschreibstörung (ICD 10 F 81.0) oder eine Dyskalkulie (F81.2) vorhanden ist. Um eine Lerntherapie zu erhalten muss eine Störung von mindestens einer der beiden Störungen (Teilleistungsstörung) vorliegen und zusätzlich muss eine Teilhabestörung vorliegen. Nicht jedes Kind ist in seiner Teilhabe, trotz einer vorhandenen Teilleistungsstörung, behindert oder von einer Behinderung bedroht.

Die Feststellung der Voraussetzungen erfolgt zum einen in der Überprüfung der Abweichung der seelischen Gesundheit durch eine ärztliche bzw. psychologische Stellungnahme (ICD-10 – internationale Klassifikation der Krankheiten) und zum anderen in der Überprüfung einer Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft durch eine Sozialpädagogische Anamnese im zuständigen Teilhabefachbereich bzw. im Regionalen Sozialpädagogischen Dienst des Jugendamtes.

Im Verfahren bedeutet dies, das der Leistungsberechtigte eine ärztliche Stellungnahme benötigt, die nicht älter als ein Jahr alt ist, es wird ein aktueller Schulbericht benötigt, ein Hör- und Sehtest [ist] notwendig, um eine auditive Wahrnehmungsstörung auszuschließen, die Geburtsurkunde des Kindes und ein Sorgerechtsnachweis sind ebenfalls erforderlich. Es gibt Anträge, bei denen die oder der Sorgerechtigte(n) innerhalb kürzester Zeit die notwendigen Unterlagen abgeben. Es gibt aber auch Antragsverfahren, in denen die notwendigen Unterlagen erst nach mehrmaliger schriftlicher Erinnerung im Jugendamt eingereicht werden. Dies führt dann zu mehrmonatigen Antragsverfahren.

4. Wie lang ist der durchschnittliche Zeitraum zwischen Eingang der Rechnung von Leistungserbringern der Lerntherapie und der tatsächlichen Anweisung der Zahlung durch das Bezirksamt?

Antwort:
Auf Grund des Titels der kleinen Anfrage, der eine Verzögerung in der Rechnungsbezahlung als gegeben beschreibt und den aber gegenteiligen Angaben der einzelnen Sachbearbeiter*innen im Jugendamt, wurde hier, trotz des damit verbundenen erheblichen personellen Aufwands, eine Fallprüfung über fast alle im November 2021 laufenden Fälle für das Jahr 2021 durchgeführt.

Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Frist zwischen Eingang der Rechnung (bei Vorliegen einer Kostenübernahme) und der Rechnungsbezahlung im Durchschnitt unter 10 Arbeitstage beträgt. In Einzelfällen gab es auch längere Bearbeitungszeiten während der Zeiten des Homeoffice aufgrund der Corona Pandemie. Nachdem die technischen Voraussetzungen durch eine Notebookversorgung im Bezirk Pankow jedoch verbessert wurden, konnten die üblichen Bearbeitungszeiten von 1-2 Wochen wieder überwiegend eingehalten werden. Bei einigen Sachbearbeiter*innen konnten auch durchschnittliche Bearbeitungszeiten von unter 3 Arbeitstagen über das ganze Jahr festgestellt werden.

5. Wie viele Anträge von Leistungsberechtigten auf Lerntherapie sind zum Stichtag 31.12.2021 noch nicht abschließend durch das Bezirksamt bearbeitet?

Antwort:
Am 31.12.2021 gab es 107 nicht abschließende bearbeitet Anträge. Hierbei müssen 2 Faktoren berücksichtigt werden. Zum ersten können im Jugendamt das ganze Jahr über Anträge gestellt werden. Der Stichtag 31.12.2021 hat somit keine Aussagekraft. Alleine im Dezember 2021 wurden 36 Lerntherapien beantragt.

Zum zweiten sind an dem gesamten Antragsverfahren, wie unter Punkt 3 beschrieben, mehrere Institutionen beteiligt. Das bedeutet, dass in der Regel das gesamte Antragsverfahren mehrere Wochen dauert. Es ist daher davon auszugehen, dass Anträge aus November 2021 und Dezember 2021 bis zum 31.12.2021 nicht abschließend bearbeitet sein können, da in diesem Zeitraum dem Teilhabefachbereich bzw. den Regionalen Sozialpädagogischen Diensten nicht alle notwendigen Unterlagen vorlagen. Hinzu kommen die Fälle, wo die Sorgeberechtigten sehr lange Zeit benötigen alle Unterlagen im Jugendamt Pankow einzureichen.

6. Wurden seitens des Bezirksamts mündliche Zusagen auf Kostenübernahmen für Lerntherapien abgegeben? In wie vielen Fällen wurden Lerntherapien bereits begonnen oder fortgeführt, ohne dass eine schriftliche Kostenübernahme-Erklärung vorlag?

Antwort:
Grundsätzlich sind gemäß § 34 SGB X nur schriftliche Zusicherungen über die Absicht zulässig einen Verwaltungsakt zu erlassen. Da mit dem Vorliegen der internen Kostenübernahme bei der Wirtschaftlichen Jugendhilfe die Ausstellung der Kostenübernahme an den Träger sowie die Bescheiderteilung an die Sorgeberechtigten dank der verwendeten Fachverfahren ISBJ SoPart nur wenige Minuten dauert, wird von einer schriftlichen Zusage im Vorfeld seitens der Wirtschaftlichen Jugendhilfe generell abgesehen.

In wie vielen Fällen der Leistungserbringer ohne schriftliche Bescheiderteilung und Kostenübernahme eine Lerntherapie beginnt oder fortführt, entzieht sich unserer Kenntnis. Ein solches Vorgehen ist vom Jugendamt nicht vorgesehen und erwünscht.

7. Wie viele offene Rechnungen von Leistungserbringern lagen dem Bezirksamt zum Stichtag 31. Dezember 2021 vor, die vor dem 15. November 2021 eingegangen sind? Wie hoch waren die daraus resultierenden Forderungen (Gesamtsumme in Euro)?

Antwort:
Hier konnte ein einziger Fall festgestellt werden. Die offene Forderung betrug 421,14 €. Ursache für die sehr lange Bearbeitungszeit war ein Wechsel des Trägers während des Bewilligungszeitraumes, der der Wirtschaftlichen Jugendhilfe nicht bekannt gegeben wurde. Der neue Träger hatte hier die Rechnung ohne die vorherige Kostenübernahme eingereicht.

Cornelius Bechtler

Kleine Anfrage auf der BVV-Seite: https://www.berlin.de/ba-pankow/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/ka020.asp?KALFDNR=3902