Drucksache - IX-0111

Zukunftswerkstatt für das UNESCO-Weltkulturerbe „Wohnstadt Carl Legien“ und Umgebung

Die BVV möge beschließen:
Das Bezirksamt Pankow wird ersucht, eine Zukunftswerkstatt einzuberufen, um pilothaft für das UNESCO-Weltkulturerbe „Wohnstadt Carl Legien“ städtebauliche Leitlinien zu entwickeln, die neben den Anforderungen des Denkmalschutzes auch denen der Klimaanpassung gerecht werden. So sollen auch in Zeiten des Klimawandels gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse sowie die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten und entwickelt werden.

In der Zukunftswerkstatt sollen die Bewohner:innen des Weltkulturerbes mit Anwohner:innen der Umgebung („Pufferzone”) und den Bereichen des Bezirksamts zusammenkommen, die für Stadtentwicklung, Denkmalschutz, Grünflächen, Naturschutz sowie Gesundheitsförderung und Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements zuständig sind.

Das Bezirksamt soll die zuständigen Senatsverwaltungen, die Deutsche Wohnen als Eigentümerin der Wohnstadt sowie die interessierte Zivilgesellschaft einladen, und eine fachliche Begleitung durch Fachleute aus Denkmalschutz, Klimaschutz/-anpassung, Naturschutz, Architektur, Stadtentwicklung und weiteren relevanten Feldern hinzuziehen sowie eine professionelle Moderation nutzen.

Nach der Zukunftswerkstatt sollen ein Ergebnismonitoring und die Festlegung fester Ansprechpartner: innen für die anschließende Umsetzung eine Qualitätskontrolle sichern.

Das Bezirksamt wird insbesondere ersucht, eine Umsetzung auch im Rahmen von Förderungen wie zum Beispiel des Städtebauförderprogramms „Lebendige Zentren und Quartiere“ zu prüfen und ggf. auf den Weg zu bringen.

Berlin, den 09.02.2022

Einreicher:
BV Diana Giannone (Fraktion der SPD), BV Axel Lüssow (Fraktion Bü90/Grüne), für Bürger:innen, insbesondere der Anwohnerinitiative „Der Grüne Carl“

Begründung:
Die Wohnstadt Carl Legien ist seit 2008 als eine von „fünf Berliner Großsiedlungen der Moderne“ als UNESCO-Weltkulturerbe geschützt und genießt damit den denkmalrechtlich höchsten Schutzstatus. Sie ist ein wegweisendes Beispiel des Neuen Bauens und verkörpert exemplarisch den Anspruch, bei der Stadtentwicklung die Bedürfnisse der Bewohner:innen in den Mittelpunkt zu rücken.

Die Wohnstadt Carl Legien ist seit einer umfassenden Sanierung aktuell in einem insgesamt guten baulichen Erhaltungszustand. Allerdings führt der Klimawandel mit dem fortschreitenden Temperaturanstieg, einer zunehmenden Häufigkeit von Extremwetterereignissen wie längeren Hitzeperioden, Dürren und Starkregen auch das UNESCO-Weltkulturerbe vor bisher unbekannte Herausforderungen.

Insbesondere die häufiger auftretenden und länger anhaltenden Hitzeperioden stellen für die Bewohnerinnen und Bewohner eine Belastung und, insbesondere für Kleinkinder, ältere oder kranke Menschen, auch ein akutes gesundheitliches Risiko dar. Diese Entwicklung trifft die Menschen überall in Berlin, wobei innenstadtnahe Gebiete wegen des „städtische Wärmeinsel“-Effekts besonders betroffen sind.

Mit dem BVV-Beschluss VIII-0916 hat Pankow den Klimanotstand erklärt. Alle Entscheidungen des Bezirksamtes sind demnach auf ihre Auswirkungen auf das Klima zu prüfen und unter die Prämisse einer bestmöglichen Klimaverträglichkeit zu stellen. Diese Entscheidungen sind nicht allein in einem reaktiven Sinne zu verstehen. Vielmehr können in der Zukunftswerkstatt exemplarisch Lösungen für die Klimawandelanpassung entwickelt werden, die auch auf andere Stadtquartiere anwendbar sind, insbesondere auch auf die zahlreichen anderen denkmalgeschützten Ensembles und Quartiere in Pankow und Berlin insgesamt.

Die Pflege und die Schaffung von Grün in der Stadt sind angesichts der doppelten Herausforderung durch den Klimawandel und die Biodiversitätskrise von besonderer Bedeutung. Dem hat Pankow mit dem BVV-Beschluss VIII-0402 zur Deklaration „Kommunen für biologische Vielfalt“ Rechnung getragen. Welche praktischen Folgerungen sich hieraus ergeben und wie dies mit anderen Nutzungsanforderungen in Einklang gebracht werden kann, ist eines der Themen für eine Zukunftswerkstatt.

Die Wohnstadt Carl Legien ist hierbei nicht als isolierter Stadtraum zu betrachten. Mit der sie umgebenden Pufferzone ist sie Teil des Fördergebiets Ostseestraße im Rahmen des Städtebauförderprogramms „Lebendige Zentren und Quartiere“, das von den vier Hauptverkehrsstraßen Ostseestraße, Greifswalder Straße, Grellstraße und Prenzlauer Allee umschlossen ist. Mit den ebenfalls denkmalgeschützten Bauten von Bruno Taut zwischen der Grell-, der Hosemann- und der Rietzestraße verfügt das Gebiet über ein weiteres denkmalgeschütztes Ensemble, das baulich und gestalterisch aufs engste mit der Wohnstadt Carl Legien verknüpft ist und sich hierauf
bezieht.

Das gesamte Fördergebiet ist geprägt von einer deutlichen Unterversorgung mit Grünflächen und Kinderspielplätzen bei gleichzeitiger verschwenderischer Inanspruchnahme von Stadtraum durch eingeschossige Supermärkte und Discounter. Außerdem ist das Fördergebiet erheblich von Durchgangs- und Umgehungsverkehr belastet, der sich insbesondere von der Ostsee- und der Grellstraße in das Wohngebiet verlagert.

Diese städtebaulichen Beziehungen, das herausragende baukulturelle Erbe und die das gesamte Fördergebiet betreffenden Defizite verlangen nach einer ganzheitlichen Auseinandersetzung, für welche die „Wohnstadt Carl Legien“ einen geeigneten Kristallisationspunkt darstellt. Angesichts der von der UNESCO entwickelten Ansätze für eine umfassende Bürgerbeteiligung beim Erhalt, der Pflege und der Weiterentwicklung der Welterbestätten und im Lichte der von der BVV aufgestellten Leitlinien für Bürgerbeteiligung (BVV-Beschluss VIII-0224) ermöglicht die Einrichtung einer Zukunftswerkstatt hierfür einen geeigneten Rahmen.

Das Ziel der Zukunftswerkstatt ist ein von allen Beteiligten getragenes Konzept für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Wohnstadt Carl Legien und des Denkmalschutzes im 21. Jahrhundert – im Geiste des von der BVV erklärten Klimanotstands und den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen.

Antrag auf der BVV-Seite: https://www.berlin.de/ba-pankow/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/vo020.asp?VOLFDNR=6050