IX-1184 - Antrag

Vorhaben Nettomarkt Prenzlauer Allee 104 / Erich-Weinert-Straße 95 im Umfeld der Welterbestätte Wohnstadt Carl-Legien und Weiterentwicklung des städtebaulichen Konzeptes

Das Bezirksamt wird ersucht, das Umfeld des UNESCO-Welterbes Wohnstadt Carl-Legien, Welterbestätte „Siedlungen der Berliner Moderne“, auf der Grundlage des städtebaulichen Konzeptes Prenzlauer Allee/ Erich-Weinert-Straße/ Grellstraße vom 20.08.2018 weiterzuentwickeln. Das Vorhaben Nettomarkt Prenzlauer Allee 104 / Erich-Weinert-Straße 95, das den westlichen Eingangsbereich auf der nördlichen Seite baulich fassen und abschließen wird, ist dabei, wie in dem städtebaulichen Konzept vorgesehen, auf der Baulinie zwischen der Grünfläche auf dem Eckgrundstück südlich der Kaufhalle und dem Grundstück Erich-Weinert-Straße 95 auszubilden und die Kaufhalle, Relikt der Moderne der DDR der 50er-Jahre, als Bestandsgebäude in das Konzept einzubeziehen. Das Bezirksamt wird daher ersucht, die notwendigen Voraussetzungen für eine Grenzbebauung durch eine Umwidmung der Teilfläche, die durch eine Abstandsflächenbaulast der Bebauung (Brandabstände) auf der Baulinie entsteht, in eine Verkehrsfläche zu ermöglichen.

Die Vorhabenträgerin ist dabei als Kompensation an der Planung und Umsetzung der Freiflächengestaltung im angemessenen Umfang zu beteiligen. Als Ausgleich übernimmt die Vorhabenträgerin die Entsiegelung, Gestaltung und Aufwertung der Grünfläche sowie der neu entstehenden Verkehrsfläche. Die Gestaltungen sind in einem Workshopverfahren auf Basis einer zu beauftragenden Studie unter Beteiligung der Vorhabenträgerin zu entwickeln, die auch die Kosten trägt. Dabei sind auch die Verbindungen der Neubauten in die Freiflächen zu besprechen. Die Rahmenbedingungen, unter denen eine angemessene Übertragung von Aufgaben auf die Vorhabenträgerin erfolgen kann werden zur Kenntnis gebracht. Die Entwidmung der Grünfläche sowie das Workshopverfahren zur Neugestaltung werden nach den folgenden Grundsätzen ggf. vorab in einem LOI geregelt. Die Ergebnisse sind mit den Ausschüssen für Stadtentwicklung, Bebauungspläne und Genehmigungen sowie Klimaschutz, Grünanlagen, Spielplätze, Umwelt und Natur abzustimmen und in einem städtebaulichen Vertrag verbindlich zu regeln.

Für die Gestaltung der Freiflächen und die Durchführung des Workshopverfahrens sind dabei folgende Grundsätze maßgeblich:

  1. Die Grünfläche und die neu geschaffene Verkehrsfläche sind klimagerecht und naturnah zu gestalten. Das Freiflächenkonzept für die Grünanlage und begleitende Verkehrsfläche soll hinsichtlich Klimaanpassung, Regenwasserversickerung, Biodiversität und tierunterstützendes Gestalten („Animal Aided Design“, AAD) modellhaft und beispielgebend sein. Im Zuge dessen ist auch die bauliche und verkehrliche Umgebung der Grünfläche miteinzubeziehen.
  2. Die Verkehrsfläche dient nur dem Fußverkehr und der Erschließung bzw. der Freifläche des geplanten Cafés im Erdgeschoss des angrenzenden Neubaus.
  3. Die Flächen in der Grünanlage und Verkehrsfläche sind zu entsiegeln, für die Erschließung der Grünanlage ist die neu geschaffene Verkehrsfläche einzubeziehen.
  4. Es ist ein Planungsbüro auszuwählen, das über eine ausgewiesene Expertise bei der klimagerechten und biodiversen Gestaltung von Grünflächen und Bauvorhaben nach dem Vorbild AAD verfügt.
  5. Die Ausschüsse für Stadtentwicklung, Bebauungspläne und Genehmigungen sowie Klimaschutz, Grünanlagen, Spielplätze, Umwelt und Natur benennen jeweils ein Mitglied, das an dem Workshopverfahren teilnimmt.

Das Bezirksamt wird ersucht, im Zuge des Genehmigungsverfahrens auf den Bauträger einzuwirken:

  1. Das Vorhaben soll hinsichtlich der architektonischen und freiraumplanerischen Qualität entsprechend der besonderen Bedeutung im Eingangsbereich der Welterbestätte Wohnstadt Carl Legien gestaltet werden.
  2. Dachflächen, insbesondere die Dachfläche der Kaufhalle, sind zu begrünen und in das AAD-Konzept einzubeziehen.
  3. Die private Freifläche an der östlichen Grundstücksgrenze und wichtige Nord-Süd-Grünverbindung und Wegebeziehung ist als freiraumplanerisches Element des städtebaulichen Konzepts zu stärken und zu entwickeln. Die Zugänglichkeit dieser Wegebeziehung für die Öffentlichkeit ist zu gewährleisten.

Das Bezirksamt wird ersucht, das städtebauliche Konzept hinsichtlich folgender freiraumplanerischer Ziele weiterzuentwickeln:

  1. Die Grüngestaltung als verbindendes Element soll stärker ausgebildet werden. Die Erich-Weinert-Straße soll wie im Konzept vorgesehen parallel zum Bauvorhaben als „grüne Kiezstraße“ entwickelt werden, die das Pankower Klimakonzept umsetzt und u.a. lokale Klimaanpassung leistet sowie im Sinne eines Biotopverbunds fungiert.
  2. Die Übergangszone zur Welterbesiedlung, die in Nord-Süd-Richtung eine Grünverbindung ausbildet, soll als zugängliche Wegeverbindung in den Blockinnenbereichen entwickelt werden. Die Funktion für die Klimaanpassung und Stadtnatur sowie für die Vernetzung von Stadtgrün sollen gestärkt werden.
  3. Der Straßenabschnitt der Küselstraße westlich der Sültstraße soll als Grün- und Spielfläche, wie in dem Konzept vorgesehen, gestaltet und die Freiflächen rund um das Gesundheitshaus in das Freiflächenkonzept konzeptionell einbezogen werden.

gez. BV Almuth Tharan, gez. BV Christoph Göring

Begründung:

Das Bezirksamt hatte in der gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse für Stadtentwicklung, Bebauungspläne und Genehmigungen sowie Klimaschutz, Grünanlagen, Spielplätze, Umwelt und Natur die Bezirksverordnetenversammlung am 13.02.2025 konsultiert und die divergierenden Einschätzungen und Ziele der betroffenen Bereiche vorgestellt. In der Umsetzung des städtebaulichen Konzeptes für das Umfeld der Welterbesiedlung Carl Legien hatte sich ein Zielkonflikt ergeben. Das Konzept sieht im Eingangsbereich der Welterbesiedlung eine bauliche Fassung vor, die durch Baulinien beschrieben ist. Im südlichen Bereich wurde dieser Baulinie bereits in dem Vorhaben Rechnung getragen. Bei dem Bauvorhaben Prenzlauer Allee 104 / Erich-Weinert-Straße 95 führt die vorgesehene Baulinie dazu, dass von der Vorhabenträgerin eine Bebauung auf der Grundstücksgrenze erfolgen muss. Hiermit entsteht jedoch eine Bebauung, die direkt an eine Grünanlage angrenzt. Die platzartige Situation vor der ehemaligen Kaufhalle wurde Anfang der 90er Jahre als Grünanlage gewidmet. Ein Bereich des Bezirksamts hatte daraufhin einen Lösungsvorschlag erarbeitet, der eine Umwidmung einer Teilfläche der Grünanlage in eine Verkehrsfläche nur für die fußläufige Erschließung vorsieht. Diese Teilfläche beschränkt sich nur auf die notwendige Fläche, die durch den Grenzabstand bedingt durch die Brandlast notwendig wird. Eine Umwidmung auch nur von Teilflächen einer Grünanlage ist grundsätzlich sehr kritisch zu sehen – auch da die Vision des Klimaschutzkonzeptes Pankow kann an dieser Stelle nicht vollständig realisiert werden: „Grün- und Freiflächen wurden im heterogenen Bezirk Pankow gesichert sowie klimagerecht weiterentwickelt“. Zumal in dem Wohngebiet rund um die Carl Legien Siedlung eine erhebliche Unterversorgung an öffentlichen Grünflächen besteht. Auch der vergleichsweise hohe Anteil an privaten Grünflächen kann den Mehrbedarf an öffentlichen Grünflächen nicht kompensieren. Daher ist es nicht ausreichend, wenn der Bezirk für die Entwidmung nur eine finanzielle Gegenleistung erhält – sondern im gesamten Bereich des städtebaulichen Konzeptes müssen zumindest Aufwertungen gesichert werden, die das Klimaschutzkonzept und weitere Planungsgrundlagen des Bezirks insgesamt voranbringen sollen.

Ein Abrücken der Bebauung von der Grundstücksgrenze würde zu einer signifikanten Verzögerung des Bauvorhabens führen, denn diese wäre auch auf Grundlage des bestehenden städtebaulichen Konzeptes nicht genehmigungsfähig. Eine Änderung des städtebaulichen Konzeptes würde ein aufwendiges Verfahren, vergleichbar mit dem Workshopverfahren 2018, mit sich bringen. Zudem wäre eine Einbeziehung und Abstimmung mit der UNESCO-Kommission für die Welterbestätten erforderlich und notwendig. Hierfür stehen keine finanziellen Mittel bereit. Diese müssten erst beschafft werden. Zudem wäre der Ausgang dieses Workshopverfahrens offen und es wäre unklar, ob der Zielkonflikt damit gelöst werden könnte. Ein entsprechendes Verfahren würde mehrere Jahre in Anspruch nehmen.

Durch die derzeitige Situation entsteht für den Eigentümer und die Vorhabenträgerin eine rechtsunsichere Situation, da derzeit weder eine Bebauung auf der Grundstücksgrenze noch eine Bebauung abgerückt von der Grünfläche genehmigungsfähig wäre.

Das Angebot der Vorhabenträgerin, die Planungs- und Herstellungskosten für eine möglichst grüne Entsiegelung und Aufwertung der Grünfläche zu übernehmen, stellt daher eine mögliche Lösung dieses Zielkonfliktes dar. Durch die Finanzierung der Vorhabenträgerin ist es zeitnah möglich, einen städtebaulichen Missstand zu beseitigen, eine bestehende Grünanlage in ihrer Funktion erheblich aufzuwerten und durch eine deutliche Erhöhung der Qualität der Freifläche einen Ausgleich für die notwendige Umwidmung einer Teilfläche in eine Verkehrsfläche zu erreichen. Voraussetzung ist dabei, die Erschließung durch die Wege möglichst flächensparend umzusetzen und dabei die zu schaffende Verkehrsfläche darin einzubeziehen. Die Rahmenbedingungen, unter denen eine angemessene Übertragung von Aufgaben auf die Vorhabenträgerin erfolgen kann werden der BVV zur Kenntnis gebracht.

Gleichzeitig muss es Ziel des Bezirkes sein, Potentiale für eine Erhöhung des öffentlichen Grünflächenanteils in dem Wohngebiet zu nutzen. Im Rahmen dieses städtebaulichen Konzeptes ist dies u.a. auf der Fläche der Küselstraße vorgesehen, die derzeit auf dem von Lidl genutzten Parkplatz auch im Konzept angedacht ist. Diese bezirkseigene Fläche wird derzeit an Lidl verpachtet. Der Pachtvertrag läuft demnächst aus. Die grünen Verbindungselemente auf privaten Grünflächen und im öffentlichen Straßenland sollen zudem konsequenter als Ziele verfolgt, umgesetzt und erlebbar gemacht werden.

Die Methode des tierunterstützenden Gestaltens („Animal Aided Design“, AAD, vgl. u.a. BfN Schriften 595 sowie die „Berliner Strategie zur Biologischen Vielfalt“) bringt den Schutz und die Förderung von wild lebenden Tieren, konkrete Architektur sowie lokale Stadtplanung miteinander in Einklang. Die Grundidee einer Planung nach dem Vorbild AAD besteht darin, bereits vorkommende oder realistisch ansiedelbare konkrete Arten frühzeitig in den Planungsprozess einzubeziehen, sodass sie zu einem integralen Bestandteil der Gestaltung werden. Die Stärken von AAD sind effektiv und gleichzeitig relativ unaufwändig zu sein und Baukörper (z.B. Niststeine und Maßnahmen gegen Vogelschlag, angepasste Begrünung) und Freiflächen (angepasste Flora als Schutzhabitate und Nahrungsquellen) zu verbinden. Eine solche klimaangepasste und biodiverse Flora und Fauna dient zugleich als Indikator und Unterstützung für ein gesundes Lebensumfeld von uns Menschen.

Für den Grünzug als „grüne Kiezstraße“ sind aus dem Klimaschutzkonzept u.a. relevant „MO-3 Nachhaltige Straßenraumgestaltung Flächengerechter, sozial- und klimaverträglicher Straßenraum“, „KA-3 Grüne Oasen fördern Erholung und Klimaschutz durch städtische Grünflächen“, „KA-4 Blau-grüne Stadtgestaltung“ und „KA-10 Hitzeresiliente Stadtentwicklung“ – die Erich-Weinert-Straße ist in der Biotopverbundplanung Pankow für „Schaffung / Entwicklung neuer Grünanlagen“ vorgesehen.