Kleine Anfrage - KA-0134/IX

Artenschutz von gebäudebewohnenden Brutvogelarten sowie Fledermäusen bei Baumaßnahmen

Bezirksamt Pankow von Berlin
Abt. Ordnung und Öffentlicher Raum
Bezirksstadträtin

4.4.2022

Herrn Bezirksverordneten Axel Lüssow
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
über
den Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung
Pankow von Berlin
über
den Bezirksbürgermeister
Kleine Anfrage 0134/IX
über
Artenschutz von gebäudebewohnenden Brutvogelarten sowie Fledermäusen bei Baumaßnahmen

Das Bezirksamt wird um folgende Auskunft gebeten:
1. Wie umfassend und effektiv erhält die Untere Naturschutzbehörde (UNB) derzeit Kenntnis von Bauvorhaben (wie Abriss, Sanierung, Aus- oder Umbau), die den Artenschutz bei geschützten gebäudebewohnenden Brutvogelarten sowie Fledermäusen betreffen könnten (vgl. KA-0341/VIII), auch z. B. über die Anzeigepflicht nach NatSchG Bln § 12 Abs. 10 im Bereich von Landschaftsplänen mit Biotopflächenfaktor (BFF) bzgl.
a) geschützten Lebensstätten dieser Arten,
b) ganzjährig genutzten (und damit geschützten) Habitaten wie z.B. Efeu, Büschen?

Die Untere Naturschutzbehörde wird regelmäßig über die Bau- und Wohnungsaufsicht (BWA) über beantragte und genehmigte Bauvorhaben informiert. Dies geschieht über Tages- und Wochenmeldungen, die einen Auszug aus dem elektronischen Bau- und Genehmigungsverfahren (eBG) darstellen. Diese dienen der Unteren Naturschutzbehörde zur Information über geplante Abrisse, Sanierungen, Dachausbauten etc., die eine artenschutzrechtliche Relevanz haben können. Aussagen über betroffene Arten oder geschützte Lebensstätten sind darin nicht enthalten.

Gemäß § 2 der Verordnung über Ausnahmen von Schutzvorschriften für besonders
geschützte Tier- und Pflanzenarten vom 03.09.2014 (791-1-2 –„Gebäudebrüterverordnung“) hat jede Bauträgerin und jeder Bauträger rechtzeitig vor Beginn der Sanierungsmaßnahme zu prüfen, ob Fortpflanzungs- und Ruhestätten gebäudebewohnender Arten betroffen sind und diese der Unteren Naturschutzbehörde anzuzeigen. Die Anzahl der gemeldeten Vorhaben durch das BWA und der unaufgefordert eingehenden Anzeigen (gemäß § 2 der „Gebäudebrüterverordnung“) weichen deutlich voneinander ab. Von Seiten der Vorhabenträgerinnen bzw. –träger erfolgt so gut wie nie eine Meldung von geschützten Fortpflanzungs- und Ruhestätten.

Dabei werden der Unteren Naturschutzbehörde häufiger geschützte Fortpflanzungsstätten am Gebäude gemeldet, als ganzjährig genutzte Ruhestätten wie Spatzengebüsche.

2. Wie viele Bauvorhaben mit dem Verdacht/Beleg des Vorhandenseins bedrohter und geschützter Lebensstätten oder Habitate bei geschützten gebäudebewohnenden Brutvogelarten sowie Fledermäusen wurden der UNB gemeldet in den Jahren 2017-2021 (vgl. KA-0341/VIII, bitte nach Jahr auflisten)?

JahrUnaufgefordert
gemeldete Vorhaben
(Anzeige)
Tatsächlich bearbeitete
Vorhaben
Unbearbeitete
Vorhaben (gemeldet
durch BWA)
20171667
201817210
2019342576
202024154420
202128289150

Da dem Bereich Artenschutz der Unteren Naturschutzbehörde die große Diskrepanz zwischen unaufgeforderten Anzeigen und gemeldeten Bauvorhaben seit vielen Jahren bewusst ist, werden die Bauträgerinnen und Bauträger durch die Sachbearbeitenden aktiv angeschrieben und auf das geltende Recht hingewiesen. Dies erfolgt, sofern es zeitlich möglich ist, bei allen folgenden Vorhaben: Abrisse, Fassadensanierungen, Dachgeschosssanierung, Dachgeschossausbau, Anbau von Außenaufzügen, Anbau an bestehende Gebäude, Neubauten (Betroffenheit von Bäumen, Gebüschen, Totholzablagerungen), Anbau von Wintergärten (Vogelschlag an Glas).

3. Wie viele Anträge auf Ausnahmegenehmigungen nach § 45 Abs. 7 BNatSchG oder Befreiungen nach § 67 BNatSchG von den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten bei geschützten gebäudebewohnenden Brutvogelarten sowie Fledermäusen wurden bei der UNB eingereicht bzw. beim Senat beantragt in den Jahren 2017-2021 (vgl. KA-0341/VIII, bitte nach Jahr auflisten)?

JahrAnzahl an Befreiungen durch Senat
20177 (für Dachgeschossausbau)
201818 (für Dachgeschossausbau)
20196 (für Dachgeschossausbau)
20205 (für Abrisse ohne mögliche CEF-Maßnahme)
20211 (für Abrisse ohne mögliche CEF-Maßnahme)

Von der Unteren Naturschutzbehörde wurden noch nie Befreiungen für Gebäudebrüter erteilt. Bis 2014 erfolgte die Bearbeitung zu den geschützten Niststätten durch die Senatsverwaltung. Ab 03.09.2014 trat die Verordnung über Ausnahmen von Schutzvorschriften für besonders geschützte Tier- und Pflanzenarten in Kraft. Gemäß dieser Verordnung ist bei Sanierungen und Abrissen eine Anzeige der geschützten Lebensstätten an die Untere Naturschutzbehörde ausreichend. Nach Änderung der Verordnung 2019 sind diese Anzeigen an die Untere Naturschutzbehörde nur noch bei Sanierungen und Dachausbauten notwendig. Abrisse werden seitdem durch die Oberste Naturschutzbehörde mit Befreiung bearbeitet, wenn keine CEF (continuous ecological functionality) -Maßnahmen möglich sind.

In allen Vorhaben, die eine Befreiung nötig machen, wird eine Lösung über eine CEF–Maßnahme angestrebt, die vorgezogen durchgeführt werden muss. Gemäß § 44 (5) BNatSchG ist dann der Verbotstatbestand nicht erfüllt.

4. In wie vielen Fällen in den Jahren 2017-2021 wurden in Pankow realisiert (vgl. KA-0341/VIII, bitte nach Jahr auflisten)
a) Ersatzlebensstätten vor Beginn der Baumaßnahme angebracht,
b) Ersatzlebensstätten nach Beginn der Baumaßnahme angebracht,
c) temporäre Ersatzhabitate (z. B. Totholzhaufen) geschaffen),
d) ganzjährig genutzte (und damit geschützte) Habitate wie z.B. Efeu, Büsche ersetzt?

JahrVorgezogener
Ersatz (Anzahl
Niststätten)
Nachträglicher
Ersatz (Anzahl
Niststätten)
Temporärer
Ersatz
(Totholzhaufen)
Ersatz von
Habitaten (Efeu,
Büsche)
2017629
2018615
20193811
2020527411
20215241

Die hier aufgeführten Zahlen sind nicht abschließend, da zahlreiche Vorgänge noch offen und nicht endbearbeitet sind. Des Weiteren ist die Kontrolle der erbrachten Ersatzlebensstätten durch die Sachbearbeitenden zeitlich kaum oder gar nicht möglich.

5. Wie wird sichergestellt, dass artenschutzrechtliche Auflagen, die sich aus dem Bundesnaturschutzgesetz und der Richtlinie 2009/147/EG (Vogelschutzrichtlinie) abwägungsfest ergeben, bei Baumaßnahmen erfüllt werden – und hält das Bezirksamt diese Verfahren für ausreichend, um dem Artenschutz gerecht zu werden, oder gibt es Lücken z.B. durch Vollzugsdefizite (vgl. KA-0341/VIII), fehlende oder zu späte Meldungen, anzeigefreie Bauvorhaben, nicht rechtzeitige oder nicht ausreichende Kartierung von Lebensstätten und Habitaten, die Regelung nur im Baunebenrecht?

Mit dem Bundesnaturschutzgesetz, der Vogelschutzrichtlinie, der Verordnung über Ausnahmen von Schutzvorschriften für besonders geschützte Tier- und Pflanzenarten, der Regelung im Baunebenrecht und dem BVV-Beschluss VIII-1296 wurden wichtige rechtliche Grundlagen geschaffen, um den Artenschutz bei Bauvorhaben umzusetzen. Dennoch reichen diese Mittel, wie die Zahlen zeigen, nicht aus.

Da die Verantwortung, den Artenschutz bei einem Bauvorhaben zu berücksichtigen, bei dem/ der Vorhabenträger*in liegt, erfolgt bei zahlreichen Baumaßnahmen keine Beteiligung des Bereichs Artenschutz. Auch wird die Beauftragung eines Gutachters zur Erfassung geschützter Lebensstätten nur empfohlen (Siehe Infoseite der Senatsverwaltung: https://www.berlin.de/sen/uvk/natur-und-gruen/naturschutz/artenschutz/freilandartenschutz/gebaeudesanierung/). Daher haben die Sachbearbeitenden keine Möglichkeit die Vorhabenträgerinnen bzw. -träger zur Durchführung eines Gutachtens zu verpflichten. Hier bleibt ihnen nur die eigene Kontrolle und Dokumentation vor Ort, um entsprechende Nachweise von Niststätten aufzunehmen und die Bauträgerinnen und Bauträger zur Erstellung einer gutachterlichen Erfassung zu beauflagen. Dieser Prozess ist zeitintensiv und aufgrund der großen Anzahl an Bauvorhaben im Innenbereich und sonstigen Aufgaben (zusätzlich Bearbeitung von B-Plänen, Eingriffen, § 39 BNatSchG, Handelsartenschutz) nicht zu gewährleisten.

Daher ist die Untere Naturschutzbehörde dazu übergegangen, die durch das BWA gemeldeten und artenschutzrelevanten Vorhaben offensiv anzuschreiben und zur Abgabe einer artenschutzrechtlichen Einschätzung aufzufordern soweit es die personelle und zeitliche Situation zulässt (geschätzt 25% aller Meldungen).

Außerdem gehen auf diesem Wege durch Anzeigefreiheit, fehlende Rückmeldung und das für die Sachbearbeitenden derzeit nicht schaffbare Arbeitspensum viele Vorhaben verloren.

Ein weiteres Problem stellt die nicht ausreichende Verfügbarkeit von Gutachtern dar. Zahlreiche Bauvorhaben können aus diesem Grund keine artenschutzrechtliche Erfassung vorlegen. Da es sich bei den Sachkundigen auch um ältere Kollegen handelt, wird sich dieses Problem ohne die Förderung von geschultem und qualifiziertem Nachwuchs noch weiter verschlechtern.

6. Wie viele Mitarbeiter:innen stehen der UNB beim Freilandartenschutz in Bezug auf von diese Baumaßnahmen aktuell sowie in Zukunft (z. B. durch absehbare Ausfälle ohne schon gefundene Vertretung und/oder bereits zugewiesenen Stellenaufwuchs) zur Verfügung, und reicht die Anzahl dieser Mitarbeiter:innen aus? Falls nein, wie viel mehr Mitarbeiter:innen wären notwendig, um den gesetzlichen Bestimmungen beim Artenschutz in diesem Bereich nachkommen zu können?

Derzeit bearbeiten drei Mitarbeitende den Artenschutz in der UNB Pankow, davon einmal Vollzeit (unbefristet, Freiland- und Handelsartenschutz), einmal Teilzeit (71%, unbefristet, Freiland- und Handelsartenschutz) und einmal Teilzeit (anteilig 38%, unbefristet). Ab April wird der Artenschutz nur doch durch die Vollzeitstelle und die Teilzeitstelle (38%) vertreten, da eine Sachbearbeiterin für ein Jahr in Elternzeit geht. Eine Nachbesetzung für den Zeitraum der Elternzeit wird angestrebt.

Aus Sicht der UNB Pankow wären alleine für den Freilandartenschutz 1 weitere Vollzeitstelle notwendig, um die große Menge an Bauvorhaben im Innenbereich, alle Eingriffe im Außenbereich und den Artenschutz im Rahmen von B-Plan-, Plangenehmigungs- und Planfeststellungsverfahren adäquat betreuen zu können. Zusätzlich ist eine halbe Stelle zur Bearbeitung des Handelsartenschutzes, der derzeit von den gleichen Sachbearbeiterinnen vollzogen wird, nötig. Sinnvoll wäre auch eine zusätzliche Stelle für Verwaltungsaufgaben wie die Führung von Ordnungswidrigkeitsverfahren im Bereich des Naturschutzes.

Die Zahl an Fortpflanzungs- und Ruhestätten, die derzeit jährlich durch personalbedingte nicht mögliche Bearbeitung von Vorhaben im Innenbereich verloren geht, ist leider erheblich.

Rona Tietje
Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung
und Bürgerdienste
Für die Leiterin der Abteilung
Ordnung und Öffentlicher Raum

Kleine Anfrage auf der BVV-Seite: https://www.berlin.de/ba-pankow/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/ka020.asp?KALFDNR=3916