Gastbeitrag des Vorstehers der Bezirksverordnetenversammlung Dr. Oliver Jütting

Keine Straße für Robert Rössle

Oliver Jütting
Oliver Jütting

Im Frühjahr 2018 hörte ich das erste Mal von Initiativen, die an das Bezirksamt herangetreten waren, um die Robert-Rössle-Straße in Buch umzubenennen. Ich kannte die Straße natürlich, wie so viele Menschen in Pankow, Berlin und auf der ganzen Welt. Schließlich führt sie zum Campus Berlin-Buch und dient als Adresse für viele Firmen und Forschungsinstitutionen. Aber ich hatte mir nie Gedanken über den Namensgeber gemacht, bis ich von der Debatte über ihn erfuhr.

Das, was allerdings diskutiert wurde, fand ich beunruhigend. Nach einem Arzt, der in Verbrechen während der NS-Zeit verstrickt gewesen sein soll, ist im Berlin der Gegenwart immer noch eine Straße benannt?

Deshalb war es mir ein Anliegen, dass die Fraktion einen Antrag in die BVV einbringt – das war kurz vor der Sommerpause im Jahr 2018. Dieser Antrag beinhaltete den Auftrag an das Bezirksamt, zu prüfen, ob es rechtlich möglich wäre, die Robert-Rössle-Straße umzubenennen. D.h., das Bezirksamt wurde damit beauftragt, sich intensiv mit der Person von Robert Rössle auseinander zu setzen Darauf folgte ein langer Prozess, den unsere Fraktion und ich damals kaum vorhersehen konnten. Es gab lange Diskussionen, verschiedene Vorträge, eine Bürger*innenversammlung, mehrere Ausschussdiskussionen und schließlich einen langen Reader, den das Museum Pankow zusammengestellt hat:

https://www.berlin.de/museum-pankow/service/historie-veranstaltungen/2019/2021-08_synopse_dokument.pdf

Auch die Presse wurde auf diese Debatte aufmerksam, es gibt inzwischen wahrscheinlich deutlich mehr als zwanzig Zeitungsartikel zu diesem Thema.

Es kam aber auch so, wie es wahrscheinlich kommen musste. Die Fronten verhärteten sich, die Debatte wurde emotional. Es wurde immer deutlicher, dass dieses Thema politisch entschieden werden musste. Ich habe lange über die Gründe gegen die Umbenennung nachgedacht und wir als Fraktion haben es uns auch nicht leicht gemacht. Immer wieder wurde in der Debatte angeführt, dass die Straße zur Robert-Rössle-Klinik führte, der führenden Krebsklinik der DDR, heute aufgegangen im Helios Klinikum Berlin-Buch. Es wurde häufig darauf hingewiesen, dass Geschichte nicht getilgt werden kann und darf – und dass jede Straßenumbenennung eine solche Tilgung beinhaltet. Und schließlich wurde insistiert, dass die Verbrechen von Robert Rössle eine solche Umbenennung nicht rechtfertigten.

Wir haben es uns, wie gesagt, nicht leicht gemacht. Und ich bin der festen Überzeugung, dass die Umbenennung der Robert-Rössle-Straße richtig ist. Niemand in unserer Fraktion will Geschichte tilgen, ganz im Gegenteil. Aber die Benennung einer Straße ist eine Ehre – und diese Ehre sollte nur Personen zuteil werden, die eine solche Ehre auch verdient haben. (Ganz nebenbei ist das die erste Straßenumbenennung im Bezirk Pankow seit der Bezirksreform – es ist mitnichten so, dass das ständig vorkommen würde.) Auch der Verweis auf das Wirken von Robert Rössle in der DDR überzeugt mich nicht – wenn diese Straße nach jemandem benannt ist, der keine solche Ehrung verdient, dann ist das ein Fehler, der eher früher als später korrigiert werden sollte.

Was die vielen Diskussionen über Rössles Auffassungen über Eugenik und seine Arbeit als Pathologe angeht, so will ich zwei Punkte herausgreifen, die für mich besonders hervorstechen:

Der eine ist sein Aufsatz über die Hoden von Sittlichkeitsverbrechern. Zur Erläuterung: Robert Rössle hat hierfür unmittelbar nach einer von der NS-Justiz angeordneten Zwangskastration die Hoden von schwulen Männern untersucht, nur um herauszufinden, dass sie nicht anders aufgebaut sind als die anderer Männer. Der Aufsatz stammt übrigens aus dem Jahr 1935, dem gleichen Jahr, in dem Magnus Hirschfeld, der vom NS-Regime verfolgte Pionier der Sexualforschung, im Exil starb.

Der andere ist Rössles Hauptwerk zur Pathologie der Familie, für das er u.a. ganze Familien obduziert hat, die zum gleichen Zeitpunkt gestorben waren. Trotz aller gegenteiliger Behauptungen: Das wäre zu einer anderen Zeit in Deutschland kaum möglich gewesen. All die erweiterten Suizide von Familien, die in Berlin damals gehäuft vorkamen, waren die Selbstmorde von verzweifelten Menschen, die sich dem NS-Regime entziehen wollten und im Zweifel lieber den Gashahn aufgedreht haben als ins KZ zu kommen. Kurzum: Robert Rössle hatte sich entschieden, Vorteile aus dem NS-Regime für sich und seine Forschung zu ziehen, die es unter anderen Umständen nicht gegeben hätte. Und deshalb hat unsere Fraktion einen Antrag eingebracht, diese Straße umzubenennen.

Der Kulturausschuss ist unserer Fraktion gefolgt und auch in der BVV hat die Umbenennung jetzt eine Mehrheit gefunden. Das ist ein guter Beschluss für Pankow. Machen wir uns gemeinsam auf, einen neuen, würdigen Namen für diese kurze, aber doch prominent gelegene Straße zu finden. Die ersten Vorschläge sind im Bezirksamt schon eingegangen, und ich freue mich auf diese neue, nach vorne gerichtete Debatte!