Ein Jahr nach Konstituierung der BVV

Pankow: Fast wie in einer Netflix-Serie

Die bündnisgrüne Fraktion bei ihrer Klausurtagung im Februar 2022
Foto: Carmel Fuhg

Ein Jahr ist es nun her, dass der Linke Sören Benn sich zum Bürgermeister wiederwählen ließ, obwohl er ohne die AfD keine eigene Mehrheit hatte. Was hat sich seitdem in der Bezirkspolitik getan?

Im November 2021 machte Pankow bundesweit Schlagzeilen: „Rathaus of Cards“ titelte eine Zeitung, eine andere nannte den Bürgermeister den Frank Underwood von Pankow – eine Anspielung auf den Politthriller House of Cards. Doch die Netflix-Serie, in der es um Intrigen und Korruption geht, könnte man glücklicherweise nicht in einer Pankower Version drehen. Gleichwohl war ein Tabubruch geschehen.

Der Linken-Bürgermeister Sören Benn war in geheimer Wahl mit den Stimmen der AfD gewählt worden. Jedenfalls sagte das die AfD. Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP sagten, sie hätten ihn nicht gewählt. Linksfraktion und SPD hatten eine Minderheits-Zählgemeinschaft gegründet, um Benn zu wählen. Gemeinsam kamen sie auf 23 Stimmen, ihnen fehlten fünf zur Mehrheit – genauso viele, wie die AfD Sitze in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hat.

Warum keine rot-rot-grüne Einigung?

Für die Pankowerinnen und Pankower blieb der Vorgang rätselhaft. Bei der Wahl hatten die Bündnisgrünen mit Abstand die meisten Stimmen geholt. Gemeinsam mit Linke und SPD hatten sie eine satte Mehrheit in der BVV. Bei so einem Ergebnis hätte eine Grüne zur Bürgermeisterin gewählt werden sollen. Warum konnten sich die drei Parteien nicht wie auf Landesebene einigen? Auch in Pankow hatten sie lange eine Zählgemeinschaft gebildet und gemeinsam die Politik des Bezirks geprägt.

Für uns Bündnisgrüne kam der Bruch ebenfalls überraschend. Konnten die Linken nicht ertragen, einen weiteren Bezirk an die Bündnisgrünen zu verlieren? Allerdings hatte es schon lange an mehreren Stellen zwischen SPD und Bündnisgrünen geknirscht, an anderer Stelle auch mit den Linken. Vor allem bei der Stadtentwicklung, beim Wohnungsbau, aber auch beim Umgang mit der Insolvenz des Kinos Colosseum.

Alle Parteien sind sich einig, dass in Pankow dringend Wohnraum gebraucht wird. Aber wie und wo, darüber gibt es Streit. Bündnis 90/Die Grünen wollen, dass ökologisch gebaut wird: Das bedeutet nicht einfach nur, dass Solarzellen aufs Dach kommen und möglichst nachwachsende Rohstoffe verwendet werden. Wir wollen verdichtete, urbane Stadtquartiere mit viel allgemein zugänglichen Grünflächen, also hoch bauen, damit nicht so viel Fläche versiegelt wird. Urban heißt: gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und Geschäfte, die man zu Fuß erreichen kann, damit die Bewohner*innen das Auto möglichst selten oder am besten gar nicht brauchen. Was wir nicht wollen, sind sich weit ins Land ausdehnende Einfamilienhäuser und Einkaufszentren auf der grünen Wiese.

Hier gibt es immer wieder Streit mit anderen Fraktionen, insbesondere auch mit Linken und SPD. Am Pankower Tor waren wir die Einzigen, die sich gegen den Bau einer Shopping Mall und zweier Möbelhäuser einsetzten – wir finden, eins ist mehr als genug. An der Greifswalder Straße, direkt am S-Bahnhof, wo man aus unserer Sicht perfekt Wohnungen bauen könnte (und keineswegs im Thälmann-Park), blockieren Linke und SPD seit Jahren die Entwicklung und verhindern damit auch den dringend benötigten Schulbau. Im Norden wollen wir den Naturraum erhalten und verhindern, dass dicht an die Schutzgebiete gebaut wird.

Diese Konflikte prägen auch diese Wahlperiode. Allerdings sind wir in der Opposition. Gleichzeitig sind wir die stärkste Fraktion und können uns Mehrheiten suchen. Gerade im sozialen Bereich, für mehr Vielfalt und Arbeitsschutz sowie zum Ausbau von Radwegen können wir oft auf die Unterstützung von Linke und SPD zählen. Gemeinsam mit CDU und FDP treiben wir die Digitalisierung voran und streiten dafür, dass endlich mehr Wohnungen auch im innerstädtischen Bereich gebaut werden.

Es geht um gute Ideen

Keine Mehrheit finden wir leider oft beim Baumschutz. Wir waren die Einzigen, die sich für den Erhalt der Eschenallee an der Werneuchener Wiese eingesetzt haben. Auch beim Klimaschutz sind die anderen Fraktionen oft nicht bereit, weitergehende Forderungen mitzutragen. Dabei liegen die Fronten manches Mal anders, als man denken sollte. So stimmten etwa Linke und SPD gegen einen Antrag von FDP und Bündnisgrünen für die Pflanzung von Bäumen am Thälmann-Denkmal, die den Besucher*innen Schatten spenden sollten. Die CDU stimmte auch dagegen – aber nicht, weil sie die Bäume nicht will, sondern weil sie das Denkmal nicht will.

Bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen in Pankow müssen alle demokratischen Fraktionen aufeinander zugehen. Generell geht es in der Bezirkspolitik oft weniger um Parteiprogramme als um gute Ideen, wie man das Leben für die Bürger*innen in Pankow verbessern kann. Die anderen Fraktionen bringen wertvolle Sichten ein, weil sie andere Teile der Bevölkerung gut kennen. In den Ausschüssen trägt manchmal jede Fraktion eine kleine Verbesserung zu einem Antrag bei. Da sagt die CDU: Es fehlt noch X. Die Linke sagt: Stimmt, aber wo Sie es sagen, Y fehlt auch noch.

In diesem Politikstil sehen wir eine große Chance. Die bündnisgrüne Partei hat ihre Wurzeln in Basis- und Bürgerbewegungen, wo genau dieser Umgang, das Verhandeln auf einen Konsens hin gepflegt wird. Dabei geht es darum, einen guten Vorschlag noch besser zu machen, das Beste für alle herauszuholen, statt Sieg nur für eine Seite. Auch das ist bündnisgrüne Politik. Obwohl in der Opposition, können wir diesen Umgang aller Fraktionen miteinander vorantreiben – auch weil wir die stärkste Fraktion sind.

Hannah Wettig ist Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Pankow.