Warum im Pankower Ortsteil Buch eine alte Straße einen neuen Namen bekommt

Oliver Jütting
Oliver Jütting

Nur 150 Meter misst der bezirkseigene Teil der Robert-Rössle-Straße im Stadtteil Buch. Nur wenige Pankower*innen dürften dort jemals gewesen sein. Trotzdem ist sie eine der prominentesten Straßen Pankows – und das sogar weltweit. Denn sie führt zum Medizin-Campus Berlin-Buch, auf dem privaten Gelände windet sie sich um etliche Gebäude und dient als Adresse für viele Firmen und Forschungsinstitutionen.

Jetzt soll sie umbenannt werden. Es ist die erste Straßenumbenennung seit den 1990er Jahren. Das Bezirksamt hat die Pankower*innen gebeten, Vorschläge zu schicken. Favoritin ist bisher die Hirnforscherin Cécile Vogt. Im Sommer 2022 hat die Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Umbenennung des öffentlichen Teils der Straße beschlossen.

Wer aber war Robert Rössle und warum wird die nach ihm benannte Straße umbenannt? Rössle war von 1929 bis 1948 Professor für Pathologie an der Charité. Als sein Hauptwerk gilt „Zur Pathologie der Familie“. Hierfür hat er unter anderem ganze Familien obduziert, die zum gleichen Zeitpunkt gestorben waren. Das wäre zu einer anderen Zeit in Deutschland kaum möglich gewesen. Denn: Familienmitglieder sterben, außer bei Unfällen, normalerweise über lange Zeiträume hinweg verteilt.

Doch unter dem Nationalsozialismus begingen viele Familien gemeinsam Suizid, um sich der Verfolgung zu entziehen. Offiziell wurden diese Tode als „Unfälle mit Leuchtgas“ beschönigt – nach der damals häufigsten Art, Selbstmord zu begehen. Kurzum: Rössle nutzte Verbrechen des NS-Regimes für sich und seine Forschung, die es unter anderen Umständen nicht gegeben hätte.

Vier Jahre Debatte

Dem Umbenennungsantrag vorausgegangen war eine lange Diskussion. Kurz vor der Sommerpause im Jahr 2018 hatte die bündnisgrüne Fraktion einen Antrag gestellt, in dem das Bezirksamt gebeten wurde, sich mit der Person Robert Rössle zu beschäftigen und die Voraussetzungen einer Umbenennung der Robert-Rössle-Straße zu prüfen. Darauf folgte ein langer Prozess, der so damals kaum vorhersehbar war. Es gab ausführliche Diskussionen, verschiedene Vorträge, eine Bürger*innenversammlung, viele Ausschussdiskussionen und dutzende Medienberichte zu dem Thema – die Berliner Zeitung widmete der Causa Rössle sogar eine mehrteilige Serie.

Die Debatte wurde deshalb so kontrovers geführt, weil Rössle über die NS-Zeit hinaus in Buch gewirkt hatte und die führende Krebsklinik der DDR, mittlerweile aufgegangen im Helios Klinikum Berlin-Buch, nach ihm benannt war. Mit der Geschichte dieser Klinik identifizieren sich viele ältere Bucher*innen. Geschichte dürfe nicht getilgt werden, argumentierten einige. Manche beharrten auch, dass Robert Rössles Verhalten eine solche Umbenennung nicht rechtfertige.

Medizinerin wird Namensgeberin

Niemand in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will Geschichte tilgen, ganz im Gegenteil. Aber die Benennung einer Straße ist eine Ehre – und man kann nicht jemanden ehren, dessen Hauptwerk zutiefst verstörend ist mit all seinen Fotos vor allem jüdischer Familien, die ihrer Obduktion und Abbildung niemals zugestimmt haben. Auch der Verweis auf das Wirken Rössles in der DDR überzeugt nicht – wenn diese Straße nach jemandem benannt ist, der keine solche Ehrung verdient, dann ist das ein Fehler, der korrigiert werden muss.

Nun soll die Straße nach einer Medizinerin benannt werden. Es können noch Vorschläge eingereicht werden, neben der Hirnforscherin Cécile Vogt wurden die Kinderheilkundlerinnen Ingeborg Rapoport und Lucie Adelsberger vorgeschlagen. Alle drei waren Pionierinnen auf ihren Gebieten und gehörten zu den ersten Frauen überhaupt, die medizinische Forschung betrieben. Vogt geriet mit den Nazis in Konflikt und zog deshalb von Berlin nach Freiburg. Rapoport emigrierte wegen ihrer jüdischen Herkunft in die USA. Adelsberger, ebenfalls Jüdin, überlebte Auschwitz.

Oliver Jütting ist Vorsteher der BVV Pankow und Bezirksverordneter von Bündnis 90/Die Grünen.

Dieser Text ist ursprünglich in der Pankower Post, der Zeitung der bündnisgrünen BVV-Fraktion Pankow, erschienen. PDFs aller vier Regionalausgaben finden Sie hier.