Kleine Anfrage 0475/IX

Illegale Ablagerung von Elektroschrott, Sperrmüll und Autoreifen in Heinersdorf

Bezirksamt Pankow von Berlin
Abt. Stadtentwicklung und Bürgerdienste
Bezirksstadträtin
16. Januar 2023

Frau Bezirksverordnete Katharina Koufen
über den Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin
über den Bezirksbürgermeister

Kleine Anfrage 0475/IX über Illegale Ablagerung von Elektroschrott, Sperrmüll und Autoreifen in Heinersdorf „Das Bezirksamt wird um folgende Auskunft gebeten:

Am nördlichen Rand von Heinersdorf, zwischen Blankenburger Straße und Schmöckpfuhlgraben, hat der Eigentümer eines Gewerbegrundstücks dieses eingezäunt, parzelliert und angeblich an Firmen vermietet, die dort Waren für den Export nach Afrika zwischenlagern und in Container verpacken. Wie die Recherche eines Investigativteams mehrerer Medien ergeben hat, handelt es sich hierbei jedoch um die illegale und im Hinblick auf Umwelteinträge offenkundig unsachgemäße Ablagerung von Sperrmüll, Sondermüll und Elektroschrott, darunter Autoreifen, Kühlgeräte und Bauschutt. Zudem sind die Parzellen unzureichend geschützt. Es besteht sowohl die Gefahr von Brandentwicklung als auch von Verletzungen bei Übertritten. Der Medienberichterstattung zufolge haben sich die zuständigen Stellen auf Senats- und Bezirksebene, darunter auch das Bezirksamt Pankow, darauf geeinigt, dem Eigentümer, eine Frist zur Räumung des Geländes zu stellen. Diese lief zunächst im Juli ab, wurde auf Bitten des Eigentümers aber auf September verschoben. Zwei Monate später, Mitte November, hat sich auf dem Grundstück noch nichts getan – im Gegenteil: Es werden deutlich mehr alte Autoreifen gelagert als noch im Sommer; es wird offenbar nun auch Bauschutt abgeladen und die  auf dem Grundstück betroffene Fläche hat sich noch weiter ausgedehnt, Richtung Norden. In den Medien ist von „tausenden von Autoreifen“ und „mehr als 2000 Tonnen Schrott und Müll“ die Rede.

  1. Ist es richtig, dass die Frist für die Beseitigung der illegalen Ablagerungen der 1. September gewesen wäre? Wenn nein: welches ist die aktuelle Frist?
    Für die Beseitigung der illegalen Ablagerungen wurde von dem zuständigen Umwelt- und Naturschutzamt bislang keine Frist gesetzt (nähere Erläuterungen siehe Frage 3).
  2. Ist dem Bezirksamt bekannt, dass auf dem besagten Gelände in Heinersdorf bisher keine Räumung begonnen hat?
    Ja, dies ist dem Bezirksamt bekannt.
    Anmerkung: Der Grundstückseigentümer hat im Rahmen des eingeleiteten Zwangsverfahrens durch das Bezirksamt eigenständig begonnen einzelnen Mietern zu kündigen um künftig ungenehmigte Ablagerungen zu unterbinden.
  3. Bis wann plant das Bezirksamt die Räumung des Geländes?
    Zunächst ist auf drei rechtlich zu differenzierende Belange hinzuweisen:
    1. Die Beseitigung von Anlagen gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln, hier Lagerplatz für unterschiedliche Materialien (Bauordnungsrecht)
    2. Die Untersagung der Nutzung § 80 Abs. 1 Satz 2 BauO Bln, hier die Untersagung der Fortführung des Nutzungsbetriebs (Bauordnungsrecht)
    3. Die Beräumung des Areals von Materialien, die gegen das Umweltrecht verstoßen (Umweltrecht)

    Diese drei unterschiedlichen Belange sind zuständigkeitshalber und verfahrenstechnisch voneinander getrennt zu handhaben.
    Bauordnungsrecht: Die in Rede stehenden Flächen wurden bereits schon vor der „Wende“ vom ehemaligen Tiefbaukombinat als Lagerpatz für verschieden Materialien bspw. Baustoffe, Bauabfälle genutzt, mithin existierte für diese Nutzungsart eine Genehmigung. Diese Nutzung wurde jedoch nach der „Wende“ real für viele Jahre aufgegeben, was jedoch nicht bedeutet, dass diese Nutzung grundsätzlich ihren Bestandsschutz verlor.
    In den letzten Jahren wurde dieses Areal durch den Eigentümer hinsichtlich der Lagernutzung aktiviert, hinzu kamen Umschlagflächen für Handelsware. Der Eigentümer vermietete sukzessiv die Vielzahl der Parzellen an verschiedene Firmen, die diese Flächen wiederum jeweils mit verschiedenen Materialien und Nutzungsarten unterschiedlich nutzen.
    Diese neu hinzugetretenen, anderen Nutzungen stellen eine andere als die genehmigte Nutzung dar, sie sind somit nicht von der Bandbreite der Genehmigung für Lagerflächen durch das Tiefbaukombinat gedeckt, sodass sich die Baugenehmigungsfrage neu stellt.
    Da sich somit die Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften befinden, hat die Bauaufsichtsbehörde ein Verfahren nach § 80 BauO Bln zur Nutzungsuntersagung 3 gegen den Grundstückseigentümer eingeleitet. Hierzu wurde der Eigentümer angehört und eine Frist zur Anhörungserwiderung für Anfang Februar 2023 gesetzt. Sofern die Anhörungserwiderung dem Bezirksamt vorliegt, wird sich mit der darin vorgetragenen Rechtsauffassung befasst und über den weiteren Werdegang entscheiden. Liegen keine rechtlichen Voraussetzungen für den weiteren Betrieb vor, wird die Untersagung der Nutzung verfügt.

    Sollte die bauaufsichtliche Untersagung der Nutzung rechtskräftig werden, wird das Umwelt- und Naturschutzamt zuständigkeitshalber mit der zumindest teilweisen Beräumung verstärkt tätig werden, genauere Ausführungen hierzu siehe nachfolgend:
    Umweltrecht: Die für das Umwelt- und Naturschutzamt hier einschlägige Rechtsgrundlage ist das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG). Im Rahmen möglicher Anordnungen könnte daher lediglich auf die Abfallbeseitigungspflicht abgestellt werden (vgl. § 15 Abs. 1 KrWG).
    Abfälle im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 KrWG sind alle Stoffe oder Gegenstände, deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Gem. § 3 Abs. 4 KrWG muss sich ein Besitzer Stoffen oder Gegenständen entledigen, wenn diese nicht mehr entsprechend ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung verwendet werden.
    Dies bedeutet, dass sich Anordnungen des Umwelt- und Naturschutzamtes nicht auf Stoffe oder Gegenstände beziehen könnten, die entsprechend ihrer (ursprünglichen) Zweckbestimmung verwendet werden (z. B. Fahrzeuge, Handelswaren im absatzfähigen Zustand, stetig genutzte Container).
    Darüber hinaus könnten sich Anordnungen des Umwelt- und Naturschutzamtes nicht auf Stoffe oder Gegenstände beziehen, die nicht mehr ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung entsprechend verwendet werden, bei denen ein neuer Verwendungszweck aber unmittelbar an die Stelle des ursprünglichen Verwendungszweckes tritt. Dies ist der Fall, wenn ein einheitlicher, nie unterbrochener Wille des Besitzers vorliegt, wie mit dem Stoff oder Gegenstand verfahren werden soll. Für die Beurteilung der Zweckbestimmung ist daher auch die Auffassung des Besitzers unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zugrunde zu legen.
    Der Grundstücksinhaber hat das Gelände in über 70 Einzelflächen parzelliert und verpachtet diese nach Kenntnis des Umwelt- und Naturschutzamtes fortlaufend. Auf dem Gelände haben auch diverse Unternehmen Parzellen gepachtet, deren Unternehmensgegenstand der Export von Altreifen und Kühlschränken vornehmlich in afrikanische Länder ist. Zu diesem Zweck werden Altreifen und Kühlschränke aufgekauft/gesammelt, auf dem Gelände zwischengelagert, für den Export vorbereitet und von dort abgeholt. Bei den auf dem Gelände gelagerten Altreifen und Kühlschränken handelt es sich demnach nicht um Abfall, sondern um Handelswaren, deren Beseitigung das Umwelt- und Naturschutzamtes nicht anordnen könnte.
    Das Umwelt- und Naturschutzamt könnte lediglich die Beseitigung der Altreifen und Kühlschränke anordnen, die ohne entsprechende Absicht abgelagert werden oder die offensichtlich ihre Abfalleigenschaft nicht dadurch wieder verlieren, in dem sie (zeitnah) einem 4 Verwertungsverfahren (z. B. einer Reparatur) unterzogen werden. Daher müsste grundsätzlich jeder einzelne Reifen und jeder Kühlschrank unter Berücksichtigung der Auffassung des Besitzers und der Verkehrsanschauung einer Einzelfallprüfung unterzogen werden.
    Durch die Berliner Sonderabfallentsorgungsverordnung (SoAbfEV) wurden der Sonderabfallgesellschaft Brandenburg/Berlin mbH (SBB mbH) die Aufgaben der grenzüberschreitenden Abfallverbringung übertragen. Die Zuständigkeit für Ordnungsaufgaben nach der europäischen Abfallverbringungsverordnung und dem Abfallverbringungsgesetz liegt hingegen bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität und Klimaschutz (SenUMVK), die auf dem Gelände in eigener Zuständigkeit tätig wird. Eine bezirkliche Zuständigkeit besteht hier nicht. Gleiches gilt für die auf dem Grundstück ansässigen Unternehmen, die nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) genehmigungsbedürftige Anlagen betreiben.
    Das Umwelt- und Naturschutzamt steht zur Frage der Abfallbeseitigung auf dem Gelände in einem ständigen Austausch mit der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz.
    Bauordnungsrecht: Die Bauaufsichtsbehörde wird nach Abschluss des Verfahrens zur Untersagung der Nutzung für diejenigen Flächen, die nicht dem Umweltrecht unterliegen, aber einer Baugenehmigung bedürfen, die Beseitigung diese Anlagen, d. h. der Materialien anordnen, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen.

  4. Ist dem Bezirksamt bekannt, dass das Gelände weiterhin illegal für die Ablage von neu hinzukommenden stark kontaminiertem Müll genutzt wird, allem von Autoreifen und Kühlgeräten?
    Nach Kenntnis des Umwelt- und Naturschutzamts wird das Gelände weiterhin zum Lagern und Ablagern von Handelswaren und Abfällen durch diverse Unternehmen genutzt.
    Die Ablagerung von „stark kontaminiertem Müll“, d. h. von gefährlichem Abfall im Sinne des § 48 KrWG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 der Abfallverzeichnis-Verordnung (AVV) sowie der Anlage zu § 2 Abs. 1 AVV (Abfallverzeichnis), konnte im Rahmen mehrerer Ortsbegehungen durch das Umwelt- und Naturschutzamt insbesondere in den Jahren 2021 und 2022 grundsätzlich festgestellt werden.
    Sofern auf dem Gelände abgelagerte Altreifen und Kühlschränke im Einzelfall als Abfall im Sinne des KrWG zu bewerten sind, handelt es sich aber zumindest bei Altreifen nie um gefährlichen Abfall im Sinne der o. g. Vorschriften. Dies gilt auch für Kühlschränke, sofern diese keine Flurchlorkohlenwasserstoffe, Kohlenwasserstoffe (FCKW) oder teilfluorierte Kohlenwasserstoffe (HFKW) als Kühlmittel enthalten, deren Herstellung und Anwendung seit 1991 stufenweise eingeschränkt bzw. verboten worden ist.
  5. Kontrolliert das Bezirksamt die Durchsetzung seiner Maßnahmen vor Ort und wenn ja, wie häufig?
    Das zuständige Umwelt- und Naturschutzamt ist regelmäßig mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort. Auf Grund des bei der Bauaufsichtsbehörde anhängigen Verwaltungsverfahrens beschränkte sich das Umwelt- und Naturschutzamt bisher darauf, Ordnungswidrigkeitsverfahren einzuleiten. Eine Strafanzeige wurde erstattet.
    Die Bauaufsichtsbehörde war im Jahr 2022 mehrfach auf dem besagten Grundstück.
  6. Welche Maßnahmen trifft das Bezirksamt, um die Entfernung des illegal gelagerten Mülls durchzusetzen? Bitte mit Fristen nennen.
    Siehe Beantwortung der Frage 3.
  7. Hat das Bezirksamt Kenntnis über das Ausmaß des entstandenen Schadens, auch durch Verunreinigungen durch umwelt- und gesundheitsschädliche Substanzen, wie Reifenabrieb oder Kühlflüssigkeit, die in Boden und Grundwasser gelangt sein können?
    Das Grundstück an der Blankenburger Straße in Heinersdorf (Gemarkung Weißensee, Flur 295, Flurstück 8011 und Flur 296, Flurstück 384) ist Teil der im Bodenbelastungskataster des Landes Berlin (BBK) unter der Nummer 7885 eingetragenen Fläche. Die Aufnahme der Fläche in das BBK erfolgte bereits im Jahr 1992 aufgrund der langjährigen gewerblichen Nutzung und Ablagerung. Für die gesamte Fläche liegen diverse Gutachten vor, die erhöhte Mineralölkohlenwasserstoff- und Schwermetallkonzentrationen sowie erhöhte Konzentrationen von Polyzyklischen Aromatische Kohlenwasserstoffen (PAK) belegen.
    Im Rahmen der B-Plan-Aufstellung „Blankenburger Süden“ wurde der Bereich des Gewerbegebiets untersucht (Under your feet, 26.04.2021). Ein Großteil des Geländes ist versiegelt, zum Teil aber bereits mit einer Grasnarbe überdeckt. Für das Grundstück liegen Ergebnisse einer Mischprobe aus 5 Rammkernsondierungen einer größeren Fläche vor. In der Auffüllung waren die PAK-Konzentrationen erhöht, der gewachsene Boden war unauffällig. Aufgrund der Art der Zusammenstellung der Proben sind lokal höhere Schadstoffkonzentrationen möglich.
    Dem Umwelt- und Naturschutzamt liegen keine neueren Erkenntnisse zu einem entstandenen Schaden vor. Es ist davon auszugehen, dass durch die vorhandene Versiegelung eine gewisse Schutzfunktion gegenüber Boden und Grundwasser ausgeübt wird.
    PAK entstehen zum einen bei der unvollständigen Verbrennung von organischen Materialien wie Holz, Kohle, Öl und sind zum anderen auch in Erdöl enthalten und werden dementsprechend auch durch Reifenabrieb freigesetzt. In urbanen Bereichen ist die Grundbelastung anthropogen bedingt deutlich höher als in ländlichen Gegenden. Da Reifenabrieb aufgrund der Kraftübertragung an der Kontaktfläche zwischen Reifen und Untergrund 6 entsteht, sollte es durch die Lagerung von Reifen zu keinem nennenswerten Abrieb kommen.
    Die in Kühlschränken enthaltenen Kältemittel sind hingegen gasförmig und stellen somit zumindest für Boden und Grundwasser keine Gefahr dar.
  8. Geht das Bezirksamt rechtlich gegen den Eigentümer bzw. dessen Mieter vor oder plant, dies zu tun? Wenn nein, warum nicht?
    Das Umwelt- und Naturschutzamt kann im Rahmen seiner Zuständigkeit vorerst nur gegen die einzelnen Parzellenpächterinnen und –pächter als potentielle Abfallbesitzerinnen/Abfallbesitzer und damit Entsorgungspflichtige vorgehen. Ein Vorgehen gegen den Grundstücksinhaber ist vorerst nicht möglich. Auf Grund der Dauer des in der Bauaufsichtsbehörde anhängigen Verwaltungsverfahrens wird das Umwelt- und Naturschutzamt nunmehr entsprechende Verfahren einleiten. Diese können im Ergebnis jedoch nicht zur Beräumung des Geländes führen, vgl. Antwort zu Frage 3.
    Zum Vorgehen der Bauaufsichtsbehörde gegen den Grundstückseigentümer (nicht gegen die einzelnen Parzellenpächter) – siehe Antwort zu Frage 3.Rona Tietje

    Kleine Anfrage auf der BVV-Seite: https://www.berlin.de/ba-pankow/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/ka020.asp?KALFDNR=4257