Die Wahrheit lässt sich nicht verfälschen: Die historisch-kritische Kommentierung des Thälmann-Denkmals

Zwischen Danziger Straße und dem S-Bahnhof Greifswalder steht auf westlicher Seite eine monumentale Büste auf einem öden Platz: Das Ernst-Thälmann-Denkmal. 1986 eingeweiht, ein stilisierter Kopf, geballte Faust und wehende Fahne im Hintergrund. Ein Ort, der niemanden kalt lässt.

Um das Denkmal gab es viele Kontroversen. In den 1990er Jahren sollte es abgeräumt werden. Doch dafür war es zu groß. Zwanzig Jahre später wurde der Platz unter Denkmalschutz gestellt. Im Jahr 2013 beschloss die BVV auf Antrag der grünen Fraktion, „eine Kommentierung neben der Ernst Thälmann-Plastik an der Greifswalder Straße anzubringen, die die Geschichte des Dargestellten und des Denkmals historisch kritisch aufarbeitet, kommentiert und anschaulich macht.“ Dem folgte ein langer Prozess. Schließlich wurden vor einigen Monaten vier Infotafeln eingeweiht.

Ernst Thälmann war Stalinist und verhinderte in der Weimarer Republik den Zusammenschluss von SPD und KPD im Kampf gegen die NSDAP. Später wurde er selbst Opfer des Nationalsozialismus. Im März 1933 festgenommen, 1944 in Buchenwald erschossen, gilt er vielen als Symbol für ein besseres Deutschland. Die DDR schuf einen Thälmann-Kult. „Teddy“ war als „Führer der Arbeiterklasse“ ein Vorzeigekommunist, trotz Inhaftierung seiner Überzeugung treu geblieben. Die Massenorganisation für Kinder wurde nach ihm benannt, Briefmarken und Bücher erinnerten an ihn. Zu seinem hundertsten Geburtstag im Jahr 1986 sollte Thälmann entsprechend gewürdigt werden. Das Gasometer im Prenzlauer Berg musste der Wohnanlage „Ernst-Thälmann-Park“ weichen. Doch es formierte sich Widerstand in der Hochburg der Opposition der DDR: Demonstrationen gegen die sozialistische Stadtplanung. Aber die SED setzte sich durch. Mit der Schaffung eines Denkmals wurde der sowjetische Künstler Lew Kerbel beauftragt, der ein beispielhaftes Zeugnis sowjetischer Bildhauerei anfertigte. Kerbel, aus jüdischer Familie in der Ukraine stammend, schuf ein 50 Tonnen schweres Denkmal auf einem Sockel aus ukrainischem Granit.

Die Opposition interpretierte diesen Monumentalismus als aggressive Machtdemonstration, zumal ein zeitgemäßerer, weniger kollosaler Entwurf der DDR-Künstlerin Ruthild Hahne abgelehnt worden war. Dieses Denkmal ist somit ein Fanal geworden für die verlorenen Kämpfe der DDR-Opposition, erinnert an den Einfluss der Sowjetunion, an einen Stalinisten, ein Opfer des NS-Regimes sowie an die Geschichtspolitik der DDR. All das erklären nun Tafeln den interessierten Besucher*innen.

– Dr. Oliver Jütting