IX-1180 - Antrag

Koordiniert gegen Einsamkeit in Pankow

Das Bezirksamt wird ersucht, unter Auswertung der bereits vorhandenen Angebote in Pankow ein ganzheitliches Handlungskonzept gegen Einsamkeit für Menschen jeder Altersstufe zu erstellen.Idealerweise erfolgt dies als Querschnittsaufgabe aller Ämter des Bezirksamtes Pankow.

Im ersten Schritt sollen die bereits vorhandenen Angebote für die Zielgruppen besser kommuniziert werden.

Die Erfahrungswerte aus dem Einsamkeitsgipfel vom Dezember 2024 im Bezirk Reinickendorf sollen genutzt werden.

Das erarbeitete Konzept ist federführend dem Ausschuss SozSenGes unter möglicher Einbeziehung weiterer Ausschüsse noch im Jahr 2025 zur gemeinsamen Beratung vor Umsetzung vorzulegen.

Ergänzend wird das Bezirksamt Pankow ersucht, sich beim Land Berlin für

  1. eine zentrale Verankerung des Themas
  2. für die Erarbeitung einer Einsamkeitsstrategie für das Land Berlin
  3. sowie die Bereitstellung angemessener Personal- und Sachmittel

einzusetzen.

Bündnis90/ Die Grünen: gez. BV Almuth Tharan, gez. BV Christoph Göring, gez. BV Heike Schmidt
Gruppe der FDP: BV Oliver Simon

Begründung:

Immer mehr Menschen fühlen sich einsam. Einsamkeit kann jeden betreffen, Junge wie Alte. Experten sprechen schon vor einer neuen Volkskrankheit und warnen vor den Folgen für das Gemeinwesen.

Einsamkeit ist unsichtbar. Sie ist schwer zu erkennen, weil sich auch Menschen in Gemeinschaft einsam fühlen können. Die zunehmende Kontaktarmut ist kein deutsches Phänomen. Die WHO erklärte 2024 Einsamkeit zu einem globalen Gesundheitsproblem. Der Einsamkeitsreport der Techniker Krankenkasse von 2024 belegt „fast sechs von 10 Menschen in Deutschland haben Erfahrungen mit Einsamkeit“. In Berlin ist jeder 10. Einwohner von Einsamkeit betroffen.

Einsamkeit wird definiert als wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten sozialen Beziehungen und ihrer tatsächlichen Qualität.

Unterschieden wird vor allem zwischen emotionaler (gefühlter) Einsamkeit,

in denen sich Menschen z.B. innerhalb von bestehenden Beziehungsgeflechten einsam fühlen („allein unter Menschen“) und sozialer Einsamkeit (tatsächliche Isolation und ein objektiver Mangel an Beziehungen oder regelmäßigen Kontakten).

Darüber hinaus gibt es eine kollektive Einsamkeit, in der ganze Personengruppen keinen Bezug oder Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Strukturen empfinden.

Auf diese Weise gibt es ganze Regionen, die zu Einsamkeits-Hotspots werden.

Das subjektive Empfinden von Einsamkeit (sowohl sozial als auch emotional) kann gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Einsame Menschen zeigen dauerhaft höhere Werte des Stresshormons Cortisol, was u.a. zu einer Schwächung des Immunsystems führen kann. Einsame Menschen sind anfälliger für Depressionen, Angsterkrankungen, Krebs und Demenz, haben eine verminderte Schlafqualität und ernähren sich häufig schlechter.

Transitionsphasen machen Menschen besonders anfällig für Einsamkeit. Dazu können beispielsweise die Zeit nach der Schule, ein Wechsel der Arbeitsstätte oder Arbeitslosigkeit, Umzüge, Trennungen sowie die Trauer nach dem Verlust einer nahestehenden Person gehören.

Die Zugehörigkeit zu bestimmten demographischen Gruppen kann ebenfalls ein Risiko darstellen, z.B. bei Menschen hohen Alters, hier sind auf Grund der geschlechtlichen Unterschiede in der Lebenserwartung vor allem Frauen betroffen („Gender Loneliness Gap“).

Über Einsamkeit bei Kindern gibt es aktuell nur eine sehr unzureichende Forschungs- und Datengrundlage. Hingegen kommt eine aktuelle Studie des Progressiven Zentrums zu dem Schluss, dass junge Menschen ebenfalls ein stark erhöhtes Risiko haben, zu vereinsamen:

Laut der repräsentativen Umfrage fühlten sich 46% der Befragten zwischen 16-30 Jahren regelmäßig einsam. Diese Werte waren innerhalb der Untergruppe der 19-22-jährigen nochmals erhöht (Vgl. Bertelsmann-Stiftung, „Wie einsam sind junge Erwachsene im Jahr 2024?“). Ursachen dafür können Corona, die Klimakrise sowie die Illusion von Gemeinschaft in den sozialen Medien sein.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat u.a. ein Kompetenznetz gegen Einsamkeit aufgestellt. Auf der Webseite des Kompetenznetzwerks Einsamkeit (KNE)  https://kompetenznetz-einsamkeit.de/angebote/angebote-fuer-betroffene werden die dort erfassten Projekte und Maßnahmen in Hilfs- und Beratungsangebote, Digitale Teilhabe, Modellprojekte gegen Einsamkeit, Projekte zum Thema, kategorisiert und können dort eingesehen werden.

Und Einsamkeit ist immer noch ein Tabu Thema. Ein Umzug in eine neue Stadt wegen Studium oder neuer beruflicher Tätigkeiten kann aufgrund fehlender Kontakte bedeuten nicht allein zu sein und sich trotzdem einsam zu fühlen.

Der krisenchat.de bietet kostenfreie Beratung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren via Chat an. Das Angebot ist rund um die Uhr (24/7) über WhatsApp und SMS, ohne Anmeldung und Registrierung erreichbar und wird von ehrenamtlichen Fachkräften aus dem psychosozialen Bereich durchgeführt. Dabei richtet sich das krisenchat-Angebot an alle, die nicht wissen an wen sie sich wenden sollen, und bisher keine Hilfe gesucht haben.

Einsamkeit stellt einen Risikofaktor für die Demokratie dar. Es wurde nachgewiesen, dass Einsamkeit eng mit Verschwörungsglauben, Demokratiemisstrauen, politischem Extremismus und autoritärer Haltung zusammenhängt.

Darüber hinaus besteht ein Zusammenhang zwischen Einsamkeit und sogenannter

„daseinsvorsorgender Infrastruktur“ in Form von Grünanlagen und Begegnungsstätten (z.B. Parks, Cafés, Bibliotheken): „Während sich in den am besten ausgestatteten Wohngegenden […] 34% der Anwohner*innen einsam fühlen, berichten in schlecht ausgestatteten Wohngegenden 62% der Bewohnerschaft von Einsamkeit“ (Progressives Zentrum, S.15).

Bei Jugendlichen kann sich unter anderem der Zugang zu halböffentlichen Räumen in der Nachbarschaft (wie Kinder- und Jugendclubs oder Jugendzentren) positiv auf das Einsamkeitsempfinden auswirken.

Expertinnen und Experten empfehlen, die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Risikogruppen in den Fokus zu stellen, um gezielte Präventionsangebote machen zu können. Sowohl Großbritannien als auch Japan haben bereits eigene Ministerien für den Kampf gegen die Einsamkeit eingerichtet.

Im Bezirk Pankow leben rund 62.000 Menschen, die 65 Jahre oder älter sind.

33.000 Menschen sind in Pankow zwischen 18 und 27 Jahren. Auch in dieser Altersgruppe ist Einsamkeit ein zunehmendes Thema. Der Bezirk Pankow bietet einige Präventionsangebote gegen Einsamkeit für verschiedene Altersgruppen an.

Der Verein Sonay-Soziales Leben e.V. startete z.B. im März 2025 mit dem Projekt „Teilhabenetz“ eine Initiative zur Bekämpfung von Einsamkeit und sozialer Isolation in Pankow. Ziel ist es, ältere Menschen und jungen Erwachsene zusammenzubringen und einen generationsübergreifenden Austausch zu fördern.

Im Park am Weissen See hat es eine Pankower Plauderbank im Beisein der Ehrenamtlichen Pankower Plaudertaschen Anfang 2025 sogar in das südkoreanische Fernsehen geschafft.

Im Juni 2025 startet in Pankow außerdem ein Sprech-Lauf-Wandern für Alleinerziehende. Dieser wöchentliche Walk im Grünen über 8km dient der physischen und sozialen Stärkung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Andere Menschen zu treffen ist der beste Weg aus der Einsamkeit. Jetzt gilt es bezirkseigene, landeseigene und bundesweite Angebote in die Pankower Öffentlichkeit zu bringen.

Weiterführende Links:

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/junge-menschen-und-gesellschaft/projektnachrichten/wie-einsam-sind-junge-erwachsene-im-jahr-2024

https://web.de/magazine/politik/jugend-traut-eigener-generation-demokratiekompetenz-39769804

https://www.progressives-zentrum.org/wp-content/uploads/2023/02/Kollekt_Studie_Extrem_Einsam_Das-Progressive-Zentrum.pdf

https://www.domradio.de/artikel/mehr-einsame-menschen-deutschland-als-im-eu-durchschnitt

https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/einsamkeitsbarometer-2024-237576