Kleine Anfrage - KA-0023/IX

Kein Baum ist illegal – Denkmalschutz ohne Klimafolgenbewältigung?

In der denkmalgeschützten Wohnstadt Carl Legien gehören die Vorgärten an der Gubitzstraße 29-40 der öffentlichen Hand. Von der einstmals geschlossenen Baumreihe ist weniger als die Hälfte erhalten. Am 28.10.2021 teilte das Bezirksamt Anwohner:innen mit, dass Nachpflanzungen abzulehnen seien: In der bauzeitlichen Vorgartengestaltung habe es keine Bäume gegeben – es sei das denkmalpflegerische Ziel, die Bereiche langfristig auf diese Situation zurückzuführen.

Ich frage das Bezirksamt:

1. Welche Zuständigkeiten und Aufgaben gibt es bzgl. der Wohnstadt Carl Legien und einer Weiterentwicklung der denkmalpflegerischen Konzepte allgemein bei:

a) Untere Denkmalschutzbehörde
b) Denkmalfachbehörde (Landesdenkmalamt Berlin)
c) Oberste Denkmalschutzbehörde,
d) Landesdenkmalrat?

2. Die „Großsiedlungen der Moderne“ wurden 2008 als UNESCO Weltkulturerbes aufgenommen – wie wendet das Bezirksamt die folgenden Beschlüsse bzgl. Denkmalschutz und der Wohnstadt Carl Legien an…

a) UNESCO-Beschluss aus 2015 zur „Einbeziehung einer Perspektive der nachhaltigen Entwicklung in die Prozesse der Welterbekonvention“ – insbesondere den Punkt 15 „Biologische und kulturelle Vielfalt und Ökosystemleistungen schützen“,
b) BVV-Beschluss VIII-0402 aus 2018 zur Unterzeichnung der Deklaration „Biologische Vielfalt in Kommunen“?
c) BVV-Beschluss VIII-0916 aus 2019 zum Klimanotstand?

3. Durch den fehlenden Bewuchs heizen sich die Flächen im Sommer durch den Klimawandel verstärkt auf, und es entfallen wichtige stadtökologische Funktionen. Wie plant das Bezirksamt in der Wohnstadt Carl Legien und bei denkmalgeschützten Ensembles grüne Infrastruktur zu fördern bzgl. der Bereiche

a) dezentrales Regenwassermanagement zur Verdunstungskühlung („Schwammstadt“) sowie zur Bewässerung der Grünflächen,
b) Bindung von Feinstaub, anderen Schadstoffen sowie Ozon?

4. Wie viele Nachpflanzungen von im ursprünglichen Gestaltungskonzept bestehenden Bäumen haben die Denkmalschutzbehörden in der Wohnstadt Carl Legien seit der Aufnahme ins Weltkulturerbe veranlasst – z. B. nachdem Robinien an der Erich-Weinert-Straße gefällt wurden?

5. Gab es in der bauzeitlichen Gestaltung die aktuelle Anzahl von Parkplätzen und den derzeitigen Durchgangsverkehr an der Erich-Weinert-Straße? Falls nein – wie beabsichtigt das Bezirksamt die Bereiche auf die ursprüngliche Situation zurückzuführen?

6. Wie bewertet das Bezirksamt, den von einer Initiative von Anwohner:innen entwickelten Vorschlag einer Zukunftswerkstatt, um die Vereinbarkeit von Denkmalschutz und Klimafolgenbewältigung in Zusammenarbeit mit Verwaltungen und der Zivilgesellschaft weiter zu entwickeln sowie bürgerschaftliches Engagement zu stärken?

Eingereicht durch: Lüssow, Axel

Antwort:

Bezirksamt Pankow von Berlin
Abt. Stadtentwicklung und Bürgerdienste
Bezirksstadträtin
11. Januar 2022
Herrn Bezirksverordneten
Axel Lüssow
über
den Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin
über
den Bezirksbürgermeister

Kleine Anfrage 0023/IX
über

Kein Baum ist illegal – Denkmalschutz ohne Klimafolgenbewältigung?

„Das Bezirksamt wird um folgende Auskunft gebeten:
1. Welche Zuständigkeiten und Aufgaben gibt es bzgl. der Wohnstadt Carl Legien und einer Weiterentwicklung der denkmalpflegerischen Konzepte allgemein bei:
a) Untere Denkmalschutzbehörde“
Die Untere Denkmalschutzbehörde (UD) ist für die Erteilung der denkmalrechtlichen Genehmigung gem. § 11 DSchG Bln zuständig. Die Entscheidung über ein Antragsvorhaben hat die UD gem. § 6 Abs. 5 DSchG Bln im Einvernehmen mit dem Landesdenkmalamt Berlin (LDA) zu treffen.
„b) Denkmalfachbehörde (Landesdenkmalamt Berlin)“
Das Landesdenkmalamt Erteilung ist für die Erteilung des Einvernehmens über die von der UD beabsichtigten Entscheidung zuständig.
„c) Oberste Denkmalschutzbehörde,“
Kommt kein Einvernehmen zwischen UD und LDA zustande, trifft die Oberste Denkmalschutzbehörde die Entscheidung.
„d) Landesdenkmalrat?“
Der Landesdenkmalrat berät das für den Denkmalschutz zuständige Mitglied des Senats. In allen Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung ist er zu hören (§ 7 Abs. 1 DSchG Bln). Hierzu gehören insbesondere:
a. Gesetzgebungsverfahren und Verwaltungsvorschriften, soweit wichtige Belange des Schutzes und der Pflege von Denkmalen betroffen sind,
b. Stadt- und Regionalplanung von gesamtstädtischer oder sonst herausgehobener Bedeutung, soweit wichtige Belange des Schutzes und der Pflege von Denkmalen betroffen sind,
c. Geplante Abbrüche oder schwerwiegende Eingriffe für die Denkmalsubstanz bei fehlendem Einvernehmen zwischen Landesdenkmalamt und Unterer Denkmalschutzbehörde, wenn dadurch eine Löschung von der Denkmalliste droht, d. Angelegenheiten des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege von nationaler Bedeutung und in wichtigen Angelegenheiten des Weltkulturerbes in Berlin.

„2. „Die „Großsiedlungen der Moderne“ wurden 2008 als UNESCO Weltkulturerbes aufgenommen – wie wendet das Bezirksamt die folgenden Beschlüsse bzgl. Denkmalschutz und der Wohnstadt Carl Legien an…

a) UNESCO-Beschluss aus 2015 zur „Einbeziehung einer Perspektive der nachhaltigen Entwicklung in die Prozesse der Welterbekonvention“ – insbesondere den Punkt 15 „Biologische und kulturelle Vielfalt und Ökosystemleistungen schützen“,“

Die nachhaltige Entwicklung einer jeden Welterbestätte ist ein grundlegendes Anliegen für den Welterbeschutz und insofern Bestandteil unserer Arbeit. Mit der Annahme der Welterbekonvention im Jahr 1972 haben sich die Vertragsstaaten das Konzept der ökologischen und kulturellen Nachhaltigkeit zu eigen gemacht. In Kohärenz mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen hat die Generalversammlung der Vertragsstaaten im Jahr 2015 die Richtlinien für die Integration des Konzeptes der Nachhaltigkeit verabschiedet. Das Thema Klimaschutz wird vom Bezirksamt, insbesondere der Unteren Denkmalschutzbehörde, als eine der wesentlichen aktuellen Herausforderungen verstanden. Die Denkmalbehörden sind aufgefordert, entsprechende Fragestellungen im Umgang mit dem baulichen Bestand, den Denkmalen und Welterbestätten für denkmal- und welterbegerechte Maßnahmen zu erörtern, gute Beispiele zu suchen und sie jeweils vor Ort im denkmalpflegerischen Alltag zu überprüfen. Im Landesdenkmalamt wurde gerade deshalb eine entsprechende Fachreferentenstelle besetzt.

b) „BVV-Beschluss VIII-0402 aus 2018 zur Unterzeichnung der Deklaration „Biologische Vielfalt in Kommunen“?“

Bei Stadtentwicklungsprojekten wirkt das Bezirksamt darauf hin, dass im Bezirk in planerischer und finanzieller Hinsicht auf die ökologische Vielfalt Rücksicht genommen wird.

Die Wohnstadt Carl Legien ist kein aktuelles Stadtentwicklungsprojekt.

c) „BVV-Beschluss VIII-0916 aus 2019 zum Klimanotstand?“

Das Bezirksamt unterstützt Maßnahmen, die sich positiv auf Klima-, Umwelt- und Artenschutz auswirken. Deshalb werden bei aus Gründen der Verkehrssicherheit erforderlichen Baumfällungen auch Nachpflanzungen gefordert.

Zudem setzt sich das Bezirksamt auch für die Pflanzung von Straßenbäumen ein.

3. „Durch den fehlenden Bewuchs heizen sich die Flächen im Sommer durch den Klimawandel verstärkt auf, und es entfallen wichtige stadtökologische Funktionen. Wie plant das Bezirksamt in der Wohnstadt Carl Legien und bei denkmalgeschützten Ensembles grüne Infrastruktur zu fördern bzgl. der Bereiche a) dezentrales Regenwassermanagement zur Verdunstungskühlung („Schwammstadt“) sowie zur Bewässerung der Grünflächen,

b) Bindung von Feinstaub, anderen Schadstoffen sowie Ozon?“

Nach Auffassung des Bezirksamtes ist der Baumbewuchs in der Wohnstadt Carl Legien sehr umfangreich, so dass hier stadtökologische Funktionen nicht entfallen sind. Grüne Infrastruktur wird gefördert, in dem bei erforderlichen Baumfällungen (aus Gründen der Verkehrssicherheit) Nachpflanzungen gefordert werden.

zu a: Ein dezentrales Regenwassermanagement ist vom Bezirksamt nicht geplant.
zu b: Der umfangreiche Baumbestand in der Wohnstadt ermöglicht, mehr als in vielen anderen Wohnquartieren, eine weitmögliche Bindung von Feinstaub und anderen Schadstoffen.

4. „Wie viele Nachpflanzungen von im ursprünglichen Gestaltungskonzept bestehenden Bäumen haben die Denkmalschutzbehörden in der Wohnstadt Carl Legien seit der Aufnahme ins Weltkulturerbe veranlasst – z. B. nachdem Robinien an der Erich-Weinert-Straße gefällt wurden?“

43 Nachpflanzungen wurden veranlasst.

5. „Gab es in der bauzeitlichen Gestaltung die aktuelle Anzahl von Parkplätzen und den derzeitigen Durchgangsverkehr an der Erich-Weinert-Straße? Falls nein – wie beabsichtigt das Bezirksamt die Bereiche auf die ursprüngliche Situation zurückzuführen?“

Nein. Das Bezirksamt beabsichtigt nicht, Bereiche in der Wohnstadt Carl Legien auf die bauzeitliche Situation zurückzuführen.

6. „Wie bewertet das Bezirksamt, den von einer Initiative von Anwohnenden entwickelten Vorschlag einer Zukunftswerkstatt, um die Vereinbarkeit von Denkmalschutz und Klimafolgenbewältigung in Zusammenarbeit mit Verwaltungen und der Zivilgesellschaft weiter zu entwickeln sowie bürgerschaftliches Engagement zu stärken?“

Das Bezirksamt unterstützt die Einbindung von Anwohner:innen bei erforderlichen Neu- oder Umgestaltungen des Wohnumfeldes. Eine Neu- oder Umgestaltung in der Wohnstadt Carl Legien ist jedoch nicht geplant, da alle Freibereiche im Zuge der Komplettsanierung der Wohnstadt (2000 – 2004) umfangreich – unter Einbeziehung der Anwohnenden – gestaltet wurden.

Das LDA teilte mit, dass es für vereinheitlichende bauliche Lösungen die sukzessive Erstellung von Denkmalpflegeplänen als Leitlinie für jede Siedlung im Kontext mit den Berliner Welterbestätte anstrebt. Darin werden in Anerkennung der bisher geleisteten Arbeit durch Bewohnerschaft, Eigentümer und Bezirk auch für energetische Themen bauliche Lösungen erarbeitet werden. Auch werden darin geeignete Maßnahmen für die Erstellung und Pflege der Grünflächen entwickelt werden. Hierin sieht das Bezirksamt eine geeignete Möglichkeit der Einbeziehung der Mieter:innen für den gesamten Bereich der Welterbesiedlung. Angesichts des gänzlich fehlenden Bestandes an Straßenbäumen im Bereich der Gubitzstraße zwischen Erich-Weinert- und Georg-Blank-Straße unterstützt das Bezirksamt hier eine Zukunftswerkstatt.

Rona Tietje

Kleine Anfrage auf der BVV-Seite: https://www.berlin.de/ba-pankow/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/ka020.asp?KALFDNR=3805