Die grünen Stadträt*innen Cordelia Koch und Cornelius Bechtler erklären im Interview, wie sie ressortübergreifend die Corona-Folgen angehen

„Wir haben als Gesellschaft die jungen Menschen aus dem Blick verloren“

Die bündnsigrünen Stadträt*innen Cordelia Koch und Cornelius Bechtler. Bild: Jonas Teune/ BA Pankow
Die bündnsigrünen Stadträt*innen Cordelia Koch und Cornelius Bechtler. Bild: Jonas Teune/ BA Pankow

Hannah Wettig: Coronakrise, Energiekrise, Klimakrise – es wird schon von „Kettenkrisen“ gesprochen. Cordelia, was erlebst du im Sozialamt – was machen die Krisen mit den Menschen?

Dr. Cordelia Koch, Stadträtin für Soziales und Gesundheit: Wenn ich ins Frühjahr zurückblicke, als die vielen Tausend Geflüchteten aus der Ukraine kamen und sich lange Schlangen vor dem Sozialamt bildeten – da habe ich ganz viel Empathie und Engagement erlebt sowie eine große Bereitschaft, anzupacken. Da war es spürbar, wie wichtig es allen ist, diese Krise zu überstehen. Uns haben auch sehr viele Freiwillige im Amt geholfen. Nicht nur haben viele Menschen privat Geflüchtete aufgenommen – in Pankow sind auch ganz viele Ehrenamtliche zum Sozialamt gekommen und wollten helfen. Wir haben daraufhin Zelte aufgebaut, wo Freiwillige Tee ausgeschenkt und geholfen haben, Anträge auszufüllen. Dafür gebührt ihnen riesiger Dank. Für meine Mitarbeiter*innen war es ein großer Erfolg, weil wir erstmals so eine Zusammenarbeit zwischen Amt und Bürger*innen organisiert hatten und das toll geklappt hat. Man kann daraus lernen, was alles möglich ist, wenn nur alle wollen und das gemeinsame Ziel erreichen möchten. Das gilt auch für meine Mitarbeiter*innen. Wir haben gemeinsam Großes in Pankow geleistet: 4.500 Menschen in fünf Monaten versorgt – zunächst ohne eine einzige zusätzliche Mitarbeiterin. Inzwischen freuen wir uns, dass man von außen nicht mehr sieht, dass wir ein Problem hatten.

Wettig: Ich sehe bei meinen eigenen Kindern, was die Krisen mit denen machen. Wie erlebst du das im Jugendamt, Cornelius?

Cornelius Bechtler, Stadtrat für Jugend und Familie: Man muss klar sagen, dass wir als Gesellschaft die jungen Menschen eine ganze Zeit aus dem Blick verloren hatten. Das ist ziemlich erschreckend. Wir haben das 2021 schon ein bisschen mitbekommen. Aber jetzt merken wir die Folgen der Corona-Pandemie bei Kindern und Jugendlichen eindeutig. Es gibt Sozialphobien, Angststörungen, Depressionen – und zwar bei manchen in einer Intensität, die erschreckend ist. Wir hatten schon vorher das Problem, dass es nicht genügend Psychotherapieplätze gab. Da muss dringend etwas passieren und damit dürfen die Bezirke nicht alleingelassen werden. Hinzu kommt, Stichwort „Kettenkrisen“, dass es kaum gesellschaftliche Bereiche gibt, die nicht von Krisen betroffen sind. Die entscheidende Aufgabe für uns als Erwachsene ist, dass wir die Kinder und Jugendlichen bei der Bearbeitung dieser Krisen nicht aus dem Blick verlieren.

Ganz wichtig ist dabei übrigens auch die Kindergrundsicherung, an der Lisa Paus, die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, mit Hochdruck arbeitet. Das ist eine ganz wichtige Entlastung für Familien. Gerade jetzt mit den steigenden Kosten fürs Heizen und vieles andere ist das ein wichtiges Signal: Wir wollen Familien entlasten und die Kinder unterstützen!

Wettig: Cordelia, du hast einen Plan entwickelt, wie man diese verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche verbinden kann, damit nicht jedes Amt die Krisen für sich bearbeitet?

Koch: Meine Gegenstrategie ist ressortübergreifend. Wir werden eine Ämterrunde zu den Folgen der Pandemie einberufen. Es ist ganz wichtig, dass sich die verschiedenen Ämter austauschen. Derzeit hat jedes seine eigene Strategie. Sozialamt, Jugendamt, Wohnungsamt, Integration, Schule, aber auch Grünanlagen haben alle mit den Folgen der Pandemie zu tun. Aber derzeit gibt es wenig Austausch. Da wir nur begrenzte Mittel haben, ist es umso wichtiger, dass wir eine gemeinsame Strategie entwickeln.

Bechtler: Grünanlagen sind ein wichtiges Stichwort. Ich widme mich da besonders dem Thema Jugendorte. Wir haben während der Pandemie erlebt, wie wichtig öffentliche Treffpunkte für junge Menschen sind, beispielsweise in Parks. Wir brauchen Jugendorte, die von Kindern und Jugendlichen selbst gestaltet werden können.

Wettig: Wie sieht es mit der stärkeren Einbindung von Kindern und Jugendlichen aus – was tut das Jugendamt in dieser Richtung, Cornelius?

Bechtler: Der Bezirk Pankow durchläuft derzeit die Zertifizierung als kinderfreundliche Kommune. Wir stellen gerade einen Aktionsplan auf. Das ist aber nicht nur eine Aufgabe des Jugendamtes, sondern des gesamten Bezirksamtes und aller planenden Ämter.

Wettig: Neben den Kindern und Jugendliche haben besonders viele Senior*innen sehr unter der Coronakrise gelitten, vielfach auch unter der damit einhergehenden Einsamkeit. Jetzt kommt noch die Energiekrise obendrauf. Was tut ihr in diesem Zusammenhang, Cordelia?

Koch: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Es hieß ja, vulnerable Gruppen sollen besonders geschützt werden. Rückblickend haben wir vielen sicher nicht nur Gutes getan. Im vollstationären Pflegebereich ist gerade ein Gutachten in Arbeit, das die Rechte der Bewohner*innen und ihre Situation betrachtet. Es geht um die Frage, wie man die Einrichtungen ertüchtigen kann, um künftig Vereinsamung zu verhindern und trotzdem die Menschen zu schützen.

Interview: Hannah Wettig. Sie ist Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in der BVV Pankow.

Dieser Text ist ursprünglich in der Pankower Post, der Zeitung der bündnisgrünen BVV-Fraktion Pankow, erschienen. PDFs aller vier Regionalausgaben finden Sie hier.