Das Bezirksamt begegnet dem Klimawandel mit dem Abholzen von Bäumen Der „Irrsinn der Woche“ in der Wohnstadt Carl Legien 21. November 202221. November 2022 Foto: Florianmk, Wikimedia, CC BY-SA 4.0 Pankow ist ein grüner Bezirk und soll es bleiben. Wer im Umweltatlas vom Lands Berlin die Zeitfolge der Luftbilder oder das Schlagwort der „Umweltgerechtigkeit“ betrachtet, sieht jedoch: Im wachsenden und verdichteten Bezirk wird der Klimawandel deutliche Auswirkungen haben. Klimaanpassung wird immer wichtiger, um die Folgen von Hitze, Trockenheit und Starkregen zu mindern. Dafür braucht es urbane grüne Infrastruktur. Die Charta für das Berliner Stadtgrün fasst zusammen: „Das Stadtgrün ist von unschätzbarem Wert als Lebensraum für Pflanzen und Tiere und ebenso wichtig für Klima, Luft und Boden. Vögel erfreuen uns mit ihrem Gesang, Stadtbäume spenden Schatten, Grün- und Wasserflächen kühlen, unversiegelte Böden nehmen Wasser auf. Das Stadtgrün verfügt über vielfältige Möglichkeiten, die Folgen des Klimawandels und extremer Wetterereignisse zu lindern.“ Baumbestand sinkt dramatisch Neben Grünflächen, grünen Fassaden und Dächern, Sträuchern und Blühwiesen sind Bäume ein zentraler Bestandteil der grünen Infrastruktur. Gerade großkronige Bäume bieten Kühlung und filtern die Luft von Feinstaub. Alte Bäume haben zudem einen hohen Wert für die emotionale Bindung an die Stadtnatur. Die Charta besagt daher, dass die Berliner Straßenbäume als Teil des Berliner Stadtgrüns erhalten und kontinuierlich ergänzt werden sollen. Berlin verliert jedoch Bäume, sowohl im Straßenraum als auch auf Grünflächen. Jeder neu gepflanzte Straßenbaum muss nach dem Baumreport des BUND aktuell mehrere gefällte Bäume ersetzen – das kann nicht funktionieren! Zentral dafür, grüne Infrastruktur zu fördern, ist die Zivilgesellschaft mit Vereinen und Initiativen. Anwohner*innen sind direkt von Hitze durch fehlende Klimaanpassung betroffen. Sie haben Wissen über lokale Zusammenhänge und engagieren sich oft langfristig. Daher sind neben offiziellen Beteiligungen wie bei Bebauungsplänen mehr frühzeitige und informellere Beteiligungen wichtig. Hierfür hat die Berliner Koalition gerade die Finanzierung des Büros „Pankow beteiligt“ gesichert. Wie gut Beteiligung klappt und ob der von Pankow 2021 ausgerufene Klimanotstand tatsächlich beachtet wird, sieht man am besten an konkreten Projekten. Bei der denkmalgeschützten Wohnstadt Carl Legien, östlich der Prenzlauer Allee, macht das Bezirksamt seit einem Jahr leider genau das Gegenteil von dem, was in der Charta festgelegt ist. Die Vorgärten sind im Besitz der öffentlichen Hand, seit langer Zeit spendet eine Reihe von Rotdornen Schatten und Kühlung. Nachdem einige Bäume aufgrund ihres Alters gefällt werden mussten, wurde im Rahmen der „Stadtbaumkampagne“ ein erster Baum nachgepflanzt. Das hielten die Anwohner*innen für eine gute Idee pflanzten zwei weitere Ersatzbäume direkt nach – und gaben dies stolz dem Bezirksamt zur Kenntnis. Die Reaktion des Bezirksamts folgte prompt und wurde auch in einem vielbeachteten Beitrag in der NDR-Satiresendung „extra 3“ belacht: Das Bezirksamt drohte bis zu 10.000 Euro Strafe an und forderte, die Bäumchen umgehend zu entfernen. Die Erklärung: Der Denkmalschutz, unter dem die gesamte Carl-Legien-Siedlung steht, werde gestört. Die Vorgärten und der Gehweg sollen baumfrei werden oder bleiben, da es zur Entstehungszeit der Siedlung auch so gewesen sei. Allerdings gab es damals auch noch keinen Klimanotstand. Übrigens gab es damals auch noch keine Autoparkplätze – diese seien nach Einschätzung des Bezirksamts allerdings heutzutage selbstverständlich. Im Schutzzeitraum ausgebuddelt Nach Presseberichten und dem extra3-Titel „Irrsinn der Woche“ für das Bezirksamt gab es zwar Gespräche, aber keine Lösung. Daher brachten wir für die Anwohner*innen erfolgreich einen Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) ein, der eine „Zukunftswerkstatt“ vorsieht. Hier soll mit zuständigen Ämtern, Expert*innen und Zivilgesellschaft gemeinsam besprochen werden, was für Klimaschutz und Klimaanpassung bei einer Neufassung des Landesdenkmalpflegeplans relevant ist und was darüber hinaus auf andere Weise zum Erfolg kommen muss. Das Bezirksamt schaffte leider lieber Tatsachen. Die Bäumchen sollten so schnell wie möglich weg, noch im Schutzzeitraum des Naturschutzgesetzes sollten sie entfernt werden. Protest des BUND für Umwelt und Naturschutz konnte das verhindern. Dann aber wurden die Bäume ausgegraben. Dazu lud das Amt die Bürger*innen sogar ein – statt Zukunftswerkstatt bedeutet Bürgerbeteiligung in Pankow offenbar die Aufforderung, den ersten Spatenstich zu tätigen. Ein amtlich gepflanztes Bäumchen wurde übrigens nicht entfernt und stört die Szenerie offenbar nicht. Der skurrile Vorgang befördert eine Debatte, die in Pankow und ganz Berlin immer wichtiger wird: Mit welchen Zielen hatten die damaligen Architekten bauen wollen, was muss historisch erhalten oder gestaltet werden, was angepasst? Wer entscheidet mit, was notwendig ist, um Versiegelung zu reduzieren und Flächen für Klimaanpassung zu nutzen? Schließlich ist nicht nur in neuen Stadtquartieren ökologisches Bauen notwendig – auch an Gebäuden und auf Flächen im Bestand ist ein Stadtumbau erforderlich, um die Gesundheit der Menschen zu schützen und eine lebenswerte Stadt zu erhalten. Wir brauchen mehr naturbasierte Lösungen, mit Mehrfachnutzungen von Flächen, und können uns keine Dinosaurier-Politik mehr leisten, wie sie aktuell vom Bezirksamt betrieben wird. Axel Lüssow ist Sprecher für Klimaanpassung, Umwelt und Natur in der Pankower BVV-Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Dieser Text ist ursprünglich in der Pankower Post, der Zeitung der bündnisgrünen BVV-Fraktion Pankow, erschienen. PDFs aller vier Regionalausgaben finden Sie hier.